Gefangene der Tradition, nicht des Islam

Bei der Konferenz „Frauen in der islamischen Welt, Musliminnen in Deutschland“ des Auswärtigen Amtes in Berlin eint Musliminnen aus aller Welt zweierlei: der Kampf gegen das Patriarchat – und der gegen die Vorurteile des Westens

BERLIN taz ■ Muslimische Frauen kämpfen nicht nur mit rückständigen Ansichten im eigenen Kulturkreis. Auch der Westen beglückt sie immer wieder mit Fragen, die ihnen von gestern dünken. Ob Frauenrechte und Islam vereinbar sind, ist so eine Frage: Für die Teilnehmerinnen der Konferenz des Auswärtigen Amtes zum Thema „Frauen in der islamischen Welt, Musliminnen in Deutschland“ gestern war das selbstverständlich. Gereiztheit machte sich deshalb breit, als das Thema von deutschen TeilnehmerInnen angesprochen wurde.

„Na klar stimmt der Islam überein mit demokratischen Prinzipien“, meinte Omeima Abu Bakr, Anglistin von der Universität Kairo. Und die Pädagogikprofessorin Fawziah Bakr al-Bakr von der saudischen King-Saud-Universität brachte auf den Punkt, was alle Musliminnen betonten: „Wir sind nicht Gefangene der Scharia, sondern Gefangene der traditionellen männlichen Interpretationen.“ Die Ägypterin trug ein Kopftuch, die Araberin nicht – und dies war die zweite Lektion, die die Frauen aus dem Orient den Diskutantinnen aus Deutschland mitbrachten: Die Kopftuchfrage ist absolut nebensächlich. Ein gutes Drittel der etwa 30 Referentinnen trug irgendeine Form von Tuch. Aber alle verurteilten die französische Praxis, Schülerinnen das Kopftuch zu verbieten. „Demokratie bedeutet doch persönliche Freiheit“, mahnte die irakische Leiterin eines Frauenzentrums, Firdous al-Moussawi. „Das heißt, der Mensch kann denken, was er möchte, und tragen, was er möchte.“ Al-Moussawi konnte beim Thema Menschenrechte nur schwer an sich halten. „Wir im Irak fordern nicht Menschenrechte von euch. Wir wollen nur so behandelt werden, wie der Westen seine Tiere behandelt“, polemisierte sie mit Blick auf die Misshandlungen in US-Gefängnissen im Irak.

Die Referentinnen repräsentierten ein breites Spektrum innermuslimischer Meinungen mit einer Schlagseite zu religiösen Standpunkten. Die Algerierin Iman al-Hayyaf war eine der wenigen, die explizit säkulare Positionen vertrat. Ansonsten saß eine Anwältin aus Bahrein, die auch „einen weltlichen Blick auf die Dinge“ im gesellschaftlichen Diskurs verankern will, neben einer jemenitischen Anglistin, die meinte, der Islam müsse die einzige Rechtsquelle sein. Priorität hat für sie nicht der Geschlechterkampf, sondern die Bildung, machte sie klar: 73 Prozent der jemenitischen Frauen sind Analphabetinnen.

Nicht nur die ehemalige Richterin Marzia Basel, die die Frauen in der afghanischen Loja Dschirga vertrat, sieht das Hauptproblem darin, „dass die Frauen ihre Rechte nicht kennen“. Die Scharia sei nicht ungeeignet für die Durchsetzung der Rechte der Frau, betonte auch die Irakerin al-Moussawi: „Tradition ist, dass eine Frau sich kaum auf eigenen Wunsch scheiden lassen kann. Aber das islamische Recht gibt ihr durchaus diese Möglichkeit. Die kennt nur niemand.“ Die malaiischen Sisters of Islam, deren Vorsitzende Norani Othman ebenfalls anwesend war, haben sich diese Abwehr islamistisch einseitiger Interpretationen zum Ziel gesetzt. Der Appell aller lautete, dass Frauen die Vielfalt des islamischen Rechts kennen und anwenden können müssten. Der Islam an sich sei flexibel genug, auch die gesellschaftliche Emanzipation der Frauen aufzunehmen.

HEIDE OSTREICH