Wenn der Wahn als Kind beginnt

Gereizt, genervt und unkonzentriert: Typische Zeichen der Pubertät können auf eine Psychose hinweisen. Die Youngsters im AK Harburg fangen Jugendliche auf

Zweimal in der Woche treffen sich die Youngsters in der Psychiatrie des Allgemeinen Krankenhauses (AK) Harburg. Die „alten Hasen“ kommen nach der Schule vorbei, andere werden im AK stationär behandelt. Sie sind 16 bis 28 Jahre alt, hören Stimmen oder haben optische Halluzinationen. Sie fühlen sich verfolgt oder erleuchtet und wissen nicht, wo die Realität aufhört und der Wahn anfängt.

Die Therapeutinnen Nicole Plinz und Sibille Buschert entwickelten die bundesweit erste Gruppe für Jugendliche, die erstmalig wegen psychotischer Symptome behandelt werden. „Früher bekamen sie auf der Station nur den durchgeknallen Schizophrenen neben sich zu sehen und dachten: So sieht auch mein Lebensweg aus“, beschreibt Buschert die Gründe, einen Schutzraum für junge Patienten zu schaffen. Für die Neuzugänge sei es motivierend, dass andere Youngsters ihr normales Leben wieder in den Griff bekommen. Und unter den stabileren Jugendlichen entwickele sich – in Erinnerung an die eigene Geschichte – gegenüber Neuen eine besondere Fürsorge.

Früherkennung ist laut Plinz wichtig. Die ersten Veränderungen zeigten sich mit 14 bis 15 Jahren. Oft gereizt, in der Schule unkonzentriert, von innerer Unruhe getrieben und sehr verletzlich, ziehen sich die Jugendlichen mit unbestimmten Ängsten in ihr Zimmer zurück. Doch wenn sich die Kinder anders als Gleichaltrige verändern, sich isolieren und selbst meinen, mit ihnen stimme etwas nicht, könnte das auch auf eine nahende Psychose hinweisen.

„Kommen die jungen Patienten hier in der Klinik an, wird der akute Wahn medikamentös mit Neuroleptika behandelt“, sagt Plinz. Auf dem Boden der Tatsachen sei es für alle ein Schock zu erkennen: „Ich bin in der Psychiatrie, ich bin verrückt.“ In der Gruppe wird das gemeinsam ausgehalten, die Youngsters malen, schreiben, bewegen sich, um sich ihrer selbst in ihrem Körper wieder sicher zu werden. Die Medikamente müssten mindestens ein Jahr lang eingenommen werden, auch dabei helfe die Gruppe. Sonst drohe, weiß Plinz, bis zu 80 Prozent der Patienten ein Rückfall. Stephanie Janssen