DNA-Detektive in der Schule

Ausgestattet mit zahlreichen Laborgeräten und Biochemikalien zieht ein Bonner Student durch die Schulen und versucht zu zeigen, wie Wissenschaft in der Praxis funktioniert. Der reisende Lehrer will eine Brücke zwischen Universität und Schule bauen

Die Schüler müssen winzige DNA-Mengen in das Gelkissen gebenDie Schüler sehen den Nutzen dieser Technik und der Arbeit, die sie geleistet haben

von ANDREA SCHNEIDER

Wenn Jürgen Kreuz an die technische Ausstattung von Schulen denkt, klingt Bedrückung in seiner Stimme mit. „Besonders in den wissenschaftlichen Fächern hapert’s“, sagt er. Je zeitgemäßer die Themen seien, desto spärlicher das Unterrichtsmaterial. Bleibt es beim Spardiktat der Bildungspolitik, dann wird sich daran so schnell nichts ändern. Besonders eklatant sei der schulische Mangel im Bereich Gentechnik.

Das sei auch kein Wunder, meint Kreuz. Denn Geräte und Verbrauchsmaterial, mit denen Schüler Experimente durchführen können, seien teuer und kaum vom Etat einer Lehreinrichtung zu finanzieren.

Einen Schritt gegen Mangelerscheinungen und für praxisnahe Arbeit in den Schulen wagt der Bonner Lehramtsstudent mit seinem eigenen Firmenprojekt „überkreuz Lernen und Lehren“. Ausgestattet mit Pipetten und Elektrophoresegeräten, DNA und Enzymen, allesamt Geräte und Materialien, von deren Anschaffung Schulen zumeist nur träumen können, geht er in die Klassenzimmer und bietet dort seit neuestem den Schülerworkshop „Genetischer Fingerabdruck“ an.

Als der 34-jährige Bonner „überkreuz“ ins Leben rief, wollte er sich selbst, den angehenden Lehrer, testen. „Ich wollte wissen, ob ich überhaupt unterrichten kann“, sagt er. Doch schnell wurde aus dem Versuch mehr: nämlich die Vision, dass es möglich sein müsse, Wissenschaft und Uni mit Schule und Alltag, Studium und Fachwissen wiederum mit Praxiserfahrungen zu verknüpfen. Fortan konzipierte er Workshops, die all die Themen, „die noch nicht in den Lehrbüchern stehen“, in den Unterricht bringen.

Bioethik war so ein Themenkomplex, den er Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I anhand der Huntington-Erkrankung näher brachte. Bei der Bundesgartenschau war Kreuz mit einem Bionik-Workshop präsent, der lebensnah der Natur abgeguckte Techniken wie beispielsweise den Lotus-Effekt veranschaulichte.

Nun leitet Jürgen Kreuz Oberstufen-Workshops zum Thema Genetik. Wenn er unterrichtet, sind seine Schülerinnen und Schüler anhand eines fiktiven Kriminalfalls dem Täter auf der Spur. Sie bestimmen mehrere DNA-Proben und ermitteln so mit wissenschaftlichen Methoden den „Täter“.

Mucksmäuschenstill ist es im Bioraum der Schule. Konzentriertes Arbeiten. Die Schüler müssen winzige DNA-Mengen, die sie vorhin mit Hilfe von Restriktionsenzymen zerschnitten und schließlich eingefärbt haben, in das Gelkissen geben. „Stützt euch auf und lehnt die Pipette an den Zeigefinger eurer anderen Hand“, sagt Kreuz. Denn: „Es ist ganz normal, wenn man beim ersten Mal ein bisschen zittert.“

Die Schüler arbeiten in Dreier- und Vierergruppen: Einer pro Team ist der Professor, der trägt die Verantwortung und ist für das Arbeitsprotokoll zuständig, einer ist der Doktorand und leistet die verantwortliche Arbeit, die anderen sind Handlanger – hatte Kreuz zuvor gesagt. Die Aufgaben wechseln mehrfach pro Workshop.

Bei den Jugendlichen kommt die praktische Arbeit gut an: „Man hört so oft vom genetischen Fingerabdruck, da möchte man auch wissen, wie er funktioniert“, sagt eine Schülerin. Praxis, mit der man hier und jetzt etwas anfangen kann.

Natürlich weiß Kreuz um die Problematik, wissenschaftliche Themen auf spannende, beinahe spielerische Weise in den Unterricht zu bringen, die gerade auch gesellschaftspolitisch heiß diskutiert werden. „Die Schüler erleben die positive Relevanz, sie sehen den Nutzen dieser Technik und der Arbeit, die sie geleistet haben“, sagt er.

Kritische Fragen nach einer Abwägung zwischen Nutzen und Gefahr einer inflationären Anwendung – zum Beispiel der Gentechnik – kommen selten. Der Lehramtsstudent versteht es auch nicht als seine Aufgabe, mit den Schülern in einen politischen Diskurs zu treten. Seine praktische Arbeit sieht er lediglich als Ergänzung und eingebettet in den theoretischen Unterricht, der die Schüler grundsätzlich in die Lage versetzen soll, sich eine eigene Meinung zu bilden. „Mit meinem Workshop kann ich niemals ersetzen, was an Grundlagen im Unterricht vermittelt wird“, sagt er.

Dennoch steht er immer wieder auch in der Kritik. Bei seinem Workshop zur Bioethik wurde ihm vorgeworfen, mit dem Beispiel Huntington’scher Krankheit würde er den Worst Case im Klassenzimmer inszenieren. Kinder könnten es nicht aushalten, im Rollenspiel Wucht und Konsequenz der Erkrankung zu tragen.

Doch auch hier wiegelt Kreuz ab. Wer zulasse, dass Schüler in der Medienwelt mit schlimmsten Sachen zugeschüttet werden, dürfe sie in der realen Welt nicht über die Maßen behüten. Wichtig seien allerdings Fingerspitzengefühl und Wachsamkeit der Lehrkräfte, was allerdings nicht nur für Themen wie Gentechnik oder Bioethik gelte.

Sein Engagement, praktische wissenschaftliche Grundlagen in den Schulalltag zu bringen, hat die Zukunftspläne von Jürgen Kreuz gehörig durcheinander gerüttelt. Die Workshops, die er freiberuflich und gestärkt durch einen Kooperationsvertrag mit der Universität Bonn anbietet, haben viele Kräfte gebunden. Im nächsten Jahr jedoch will er sein Examen in der Tasche haben. Und dann?

Jürgen Kreuz träumt von einer Zukunft als „reisender Lehrer“, der eine Brücke zwischen theoretischem Wissen und praktischer Anwendung baut, zwischen Schule und Universität. Die Schule von außen bereichern möchte er, indem er dort ansetzt, wo die Lehrer zwangsläufig aufhören müssen.

Doch hier ist eine engagierte Bildungspolitik gefragt, die Schulleiter nicht nur zu Verwaltern des Mangels stempelt, sondern mit den Mitteln ausstattet, die eine Kooperation zwischen Wissenschaft und Schule ermöglichen.