Abschied mit großem Staat

Es war fast schon ein Staatsakt: Zur Trauerfeier für den Publizisten und ehemaligen Ständigen Vertreter Günter Gaus erschienen die Spitzen der Politik in der Berliner Marienkirche. Johannes Rau: „Sein Gefühl für den feinen Unterschied war legendär“

AUS BERLIN JÖRN KABISCH

Als die allen bekannten Takte aus der „Musik zu einem Ritterballett“ von der Empore erklingen, geht eine Welle der Rührung durch den Kirchensaal. Beethovens Komposition ist die Erkennungsmelodie für Günter Gaus Sendung „Zur Person – Porträts in Frage und Antwort“, die er vier Jahrzehnte für das Fernsehen führte. Heute erklingt sie erstmals zu seiner Person.

Der Ort für diese Trauerfeier könnte nicht besser gewählt sein: Tritt man aus der Marienkirche, liegt gegenüber, nur durch Bäume verdeckt, die Ruine des Palastes der Republik, den Gaus als Ständiger Vertreter oft besuchte. Und gleich rechts daneben stand einmal das Palasthotel, einst das bevorzugte Quartier, wenn Gaus von Hamburg anreiste – für seine Mit-Herausgeberschaft bei der Wochenzeitung Freitag, ein neues Interview oder eines der vielen Gespräch mit den Leuten, die auf sein Urteil hörten. Das taten viele.

Die Kirche ist gut gefüllt. Mehr als 300 Menschen sind zu der Trauerfeier für den in der vergangenen Woche verstorbenen Journalisten, Publizisten und Politiker gekommen. Obwohl die Hälfte der Bänke für Ehrengäste reserviert ist, Trauerkränze der Bundesregierung und des Berliner Senats um den Altar gestellt sind, der Bundespräsident und der Bundestagspräsident anwesend sind, hat diese Gedenkfeier nichts von einem Staatsakt. Neben Wolfgang Thierse und Johannes Rau sitzen vor allem Politiker von PDS und SPD in den Bänken: Hans Modrow und Gregor Gysi, Manfred Stolpe, Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier und viele mehr. Die Schriftsteller Christoph Hein und Christa Wolf sind da. Und Medienmenschen sind schwarz gekleidet in den Reihen zu sehen: darunter Spiegel-Chefredakteur Stephan Aust, Sandra Maischberger und Alexander Kluge, der später ans Mikrofon treten wird.

Vor ihm sprechen Johannes Rau und Egon Bahr Gedenkworte. Der Bundespräsident erzählt von einem Mann, „der fünf Jahrzehnte deutscher Geschichte mitgestaltet hat“. Wenn er jemanden diesen Mann beschreiben müsste, so Rau, dann so: „Gaus hat unübertrefflich gezeigt, was Herz und Verstand gemeinsam leisten können.“ Die Mischung aus kühlem Kopf – „Sein Gefühl für den feinen Unterschied war legendär“ – und konzentrierter Anteilnahme habe nicht nur den Journalisten ausgezeichnet, damit habe Gaus als Ständiger Vertreter in der DDR viel geleistet.

Von dieser Zeit spricht vor allem Egon Bahr. „Günter Gaus kehrt heim nach Berlin“, beginnt er und erzählt, warum der Mann mit der markant spitzen Sprache hier eine solche Verbundenheit zu den Ostdeutschen entwickelte. Er habe ein Stück Deutschland gefunden, meint der ehemalige Berater von Willy Brandt von dem „Brandt-Verehrer“ Gaus, „das im Westen verloren gegangen war“ und erzählt, dass bereits der Ständige Vertreter ein Anwalt des Ostens war. Denn vieles, was er verhandelt habe, kostete Geld. „Das machte Gaus am Rhein nicht sehr beliebt.“

Alexander Kluge beschreibt den Publizisten, dem Öffentlichkeit als Existenzvoraussetzung für Demokratie galt mit dem Gaus-Zitat „Wie bei frischer Luft bemerkt man die Öffentlichkeit erst, wenn sie fehlt“ und legt dann Fäden von dem Braunschweiger Kaufmannssohn zu dem Braunschweiger Narren Till Eulenspiegel: „Er hatte Spott immer zum rechten Zeitpunkt.“ Während Rau zuvor mit den Worten endete: „Dieser Mann hat sich um dieses Land verdient gemacht“, schließt Kluge: „Wir werden einen solchen Mann nicht wiederbekommen.“ Bahr dagegen verabschiedete sich ganz persönlich: „Adieu, Günter! Möge dir die Erde leicht wer- den!“

Günter Gaus wird nur eine paar Schritte vom Haus der ehemaligen Ständigen Vertretung entfernt in Berlin beerdigt, unweit der Gräber von Hegel und Brecht. Die Beisetzung auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof findet im engsten Familien- und Freundeskreis statt.