Brüssels Asylrichtlinien und die Kritik aus Berlin

Alle mussten umdenken. Vor zehn Jahren erwarteten Regierung und Flüchtlingshelfer, dass die europäische Asyl-Harmonisierung zu einer Absenkung der vermeintlich hohen deutschen Standards führen würde. Inzwischen ist es genau andersherum. Die deutschen Standards sind teilweise so niedrig, dass sich Innenminister Schily mit Händen und Füßen gegen die halbwegs großzügigen Vorschläge der EU-Kommission wendet. Und Pro Asyl macht aktive Lobbyarbeit für die Brüsseler Entwürfe.

Vor allem die zwei zentralen Asyl-Richtlinien werden derzeit von Deutschland blockiert. Bei der so genannten Qualifizierungs-Richtlinie geht es um die Frage, wer eigentlich Flüchtling ist und wer „ergänzenden Schutz“ benötigt. Umstritten war hier lange Zeit, ob auch die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure einen Schutzanspruch auslöst. Deutschland hatte sogar auf EU-Ebene ein Veto eingelegt, obwohl im deutschen Zuwanderungsgesetz die Gleichstellung von staatlicher und nichtstaatlicher Verfolgung längst vorgesehen war. Dieser Vorbehalt wurde im März zwar zurückgezogen, es bestehen aber noch rund zwölf andere Vorbehalte, die sich vor allem auf die sozialen Leistungen mit ergänzendem Schutz beziehen. Pro Asyl kritisiert, dass Schily den Flüchtlingen keinen Anspruch auf Sozialhilfe geben will, sondern nur auf irgendeine Form der Existenzsicherung. Außerdem sollen sie nicht das Recht auf Freizügigkeit erhalten und Familienangehörige nicht den gleichen Schutz wie der Hauptbetroffene bekommen.

Die zweite zentrale EU-Richtlinie will das Asylverfahren regeln. Ein ursprünglicher Entwurf der EU-Kommission war im Vergleich zum deutschen Recht so liberal, dass Kanzler Schröder intervenierte und einen neuen Entwurf forderte. Der liegt seit Juni 2002 vor und hat bei Pro Asyl große Verärgerung ausgelöst: „Das atmet wieder den Geist der Abschreckung“, sagt Karl Kopp, der Europareferent. Im Mittelpunkt der Richtlinie stünden beschleunigte Verfahren, so Kopp, bei denen die Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung haben. „Normale Asylverfahren scheinen keine Rolle mehr zu spielen.“

Für Streit sorgt auch die Drittstaatenregelung. Danach kann ein Asylverfahren verweigert werden, wenn der Flüchtling zuvor durch einen vermeintlich sicheren Drittstaat gereist ist. Im EU-Entwurf ist zwar – anders als in Deutschland – noch eine Einzelfallprüfung vorgesehen, aber Deutschland wird erlaubt, seine besonders rigide Regelung beizubehalten. CHRISTIAN RATH