Verkleidete Besatzung

Kritiker meinen, der anglo-amerikanische Entwurf ziele nicht auf die Wiederherstellung der irakischen Souveränität

AUS GENF ANDREAS ZUMACH

Der am Montag im UNO-Sicherheitsrat vorgelegte Entwurf der USA und Großbritanniens für eine neue Irak-Resolution ist bei anderen Ratsstaaten wie auch bei Mitgliedern der US-geführten Besatzungskoalition im Irak auf erhebliche Skepsis und die Forderung nach deutlichen Veränderungen gestoßen.

Öffentlich am kritischsten äußerte sich der französische Außenminister Michel Barnier. In einem Interview mit Le Figaro lehnte er einen „Blankoscheck für die USA“ ab und forderte einen „glaubwürdigeren Entwurf“. Die in der anglo-amerikanischen Vorlage angekündigte „Übergabe der Souveränität und der Regierungsgewalt“ an eine irakische Interimsregierung zum 30. Juni dieses Jahres müsse „aufrichtig, klar, umfassend und nicht künstlich sein“, erklärte Barnier. Frankreich lege „großen Wert darauf“, dass die Kompetenzen der Interimsregierung in einer UNO-Resolution „eindeutig definiert“ werden – darunter sind neben anderen die Kompetenzen in der Wirtschaftspolitik, die Zuständigkeiten für das Polizei-und Justizsystem sowie die Ausbeutung der Bodenschätze. Die Verantwortung für Sicherheitsfragen dürfe nicht allein bei der im Entwurf vorgesehenen „multinationalen Streitmacht“ unter US-Kommando liegen, sondern müsse zwischen dieser und der Interimsregierung „aufgeteilt“ werden.

Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder verlangte, die geplante Machtübertragung detailliert zu beschreiben: „Wenn ich sage ‚Übertragung der Souveränität‘, dann meine ich das auch. Da müssen Kompetenzen genannt sein.“ Polens Verteidigungsminister Jerzy Szmajdzinski erklärte zu dem anglo-amerikanischen Entwurf, es sei „schwer zu sagen, dass wir von A bis Z dahinter stehen“. Unter anderem hätten Washington und London den von Warschau unterbreiteten Vorschlag negiert, im Irak vor allgemeinen Parlamentswahlen zunächst Kommunalwahlen durchzuführen. Zugleich kündigte der Minister eine „deutliche Verringerung“ der derzeit 2.400 polnischen Soldaten im Irak ab Anfang 2005 an.

Außenminister Joschka Fischer äußerte sich öffentlich zwar sehr viel zurückhaltender als sein französischer Amtskollege und begrüßte – ähnlich wie zuvor Deutschlands UNO-Botschafter Gunter Pleuger – den Entwurf als eine „sehr gute Grundlage, auf der ein Konsens erreicht werden kann“. In der hinter verschlossenen Türen geführten Debatte des Sicherheitsrates am Montag hatten Pleuger sowie neben anderen die Botschafter Frankreichs, Russlands, Chinas, Brasiliens und Algeriens nach Angaben von Sitzungsteilnehmern jedoch mit zum Teil deutlichen Worten die Sorge formuliert, dass der von Washington und London vorgelegte Entwurf nicht auf die Wiederherstellung der irakischen Souveränität abziele, sondern auf die Fortsetzung der Besetzung unter einer neuen Verkleidung.

Nach dem Entwurf wollen die USA und Großbritannien auch nach der zum 30. Juni vorgesehenen Machtübergabe an eine „souveräne“ Übergangsregierung in Bagdad ihre (derzeit rund 145.000) Soldaten für mindestens weitere zwölf Monate als „multinationale Streitmacht“ mit UNO-Mandat im Irak belassen und dort weiterhin die uneingeschränkte militärische Kontrolle ausüben. Unter dem „einheitlichen Kommando der USA“ soll diese Streitmacht die „Autorität haben, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Stabilität im Irak beizutragen“. Dazu gehören ausdrücklich „Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus“. Spätestens nach zwölf Monaten soll der Sicherheitsrat die Möglichkeit einer Verlängerung des Mandats für die „multinationale Streitmacht“ überprüfen. Ob, wann und unter welchen Umständen eine irakische Interimsregierung schon früher einen Abzug der internationalen Streitmacht fordern und durchsetzen kann, ist in dem Resolutionsentwurf – entgegen ursprünglichen Berichten – nicht eindeutig geklärt.

Für zusätzliche Verwirrung sorgten unklare und widersprüchliche Äußerungen der UNO-Botschafter Großbritanniens und der USA zu dieser Frage. Die UNO soll nach dem Entwurf künftig „je nach den Umständen“ eine „prominente Rolle“ im Irak spielen. Diese unverbindliche Formulierung nimmt darauf Rücksicht, das UNO-Generalsekretär Kofi Annan sowie zahlreiche Mitglieder des Sicherheitsrates eine Rückkehr der UNO in den Irak vor allem von einer deutlichen Verbesserung der Sicherheitslage abhängig machen. Zudem ist weiterhin völlig offen, ob die für Ende dieser Woche angekündigten Namensvorschläge des Irak-Sonderbeauftragten der UNO, Laktar Brahimi, für die Mitglieder der Interimsregierung von der irakischen Bevölkerung akzeptiert werden.

Als konkrete Aufgaben und Kompetenzen für eine etwaige künftige Mission der UNO werden in dem Resolutionsentwurf lediglich die „Organisation von Wahlen“, sowie „Hilfe“ beim (Wieder-) Aufbau von Institutionen und bei der Erarbeitung einer endgültigen irakischen Verfassung genannt. Nach dem in dem Resolutionsentwurf enthaltenen Zeitplan für den weiteren politischen Prozess soll „bis spätestens 31. Januar 2005“ ein „Übergangsparlament“ gewählt werden, das dann die endgültige Verfassung des Landes auszuarbeiten hätte. Allgemeine, freie Wahlen zur Bildung einer unabhängigen Regierung sind erst bis Ende 2005 vorgesehen. Zur Frage der künftigen Kontrolle über die wirtschaftlichen Ressourcen Iraks heißt es in dem Resolutionsentwurf lediglich, die Übergangsregierung solle die Verfügung über die Einkünfte aus Ölverkäufen erhalten und zudem die Kompetenz, mit internationalen Finanzinstitutionen über einen Erlass der irakischen Auslandsschulden zu verhandeln.