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Archiv-Artikel

Der Sommer kann antanzen

Wahnsinnige Wiesen, sagenhafte Sounds: Am Wochenende startet die Festival-Saison. Die taz hat die besten Musik-Festivals der Region ausgewählt

Es müsste immer Musik da sein, bei allem was du machst. Und wenn es so richtig scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da. (Absolute Giganten)

Derzeit ist wenigstens noch die Musik da. Das könnte man zumindest meinen, hörte man auf die hinter den Tönen lauernde Industrie, die aus dem Jammern gar nicht mehr heraus kommt – seit Jahren schon. Doch während die CD-Umsätze weiter in den Keller sausen, boomt ein Teil des Musikgeschäfts wie selten zuvor: Open-Air-Festivals schießen momentan allerorts aus deutschem Boden. Die Republik beheimatet heuer über 200 dieser Festivals unter freiem Himmel – eine weltweit beispiellose Dichte. Vor allem in NRW sind etliche gute Festivals zuhause. Daher ist es auch schnuppe, dass sich traditionelle Events wie die Popkomm oder das aus dem Bizarre-Festival hervorgegangene Terremoto inzwischen aus NRW verabschiedet haben. Jeder Sommer braucht einen Soundtrack. Und Orte, an denen man der Wirklichkeit für die Länge einiger Songs entfliehen kann. Deshalb, und weil NRW eben eine musikalische Hochburg ist, hat die taz die besten Festivals dieses Sommers ausgewählt.

Das 33. Jahr, das zweite ohne den WDR. Doch statt zu jammern zeigt Festival-Macher Burkhard Hennen, dass ein nettes Programm auch ohne öffentlich-rechtliche Unterstützung machbar ist. 20.000 Zuschauer im größten Zirkuszelt Europas und dreimal so viele auf dem gesamten Gelände zeigen, dass die Gegenkultur noch nicht ganz tot ist. Auch wenn an Stelle des konzentrieren Zuhörens die Party gerückt ist. Der Anspruch hat sich geändert. Musikalische Trends werden nicht mehr gesetzt, eher verstärkt – auch gut. Die Mischung aus Rock, Folk, Elektronik und Avantgarde wirkt. Sogar der zuletzt vermisste Jazz kehrt zurück. Schwerpunkt dabei: Die Chicagoer Powerjazz-Szene um Mars Williams, Hugh Ragin und Kent Kessler. Eher funky mit Liquid Soul (Samstag), laut und schmutzig bei XmarsX inkl. Ex-MC5 Wayne Kramer (Montag). Weitere Highlights: Ned Rothenbergs Double Band, die Vocalkünstlerin Sainkho oder Bill Bruford & Earthworks. Insidertipp: Der Auftritt des Mülheimer Jazzmusikers Helge Schneider am Freitag.

Wann? 28. bis 31. Juli 2004

Wo? Moers, Freizeitpark

Wie viel? 25 bis 85 Euro

Weiter? www.moers-festival.com

Weiter machen. Im vergangenen Jahr stand der Summerjam noch dicht vor seinem umräucherten Ende. Die Ordnungsmacht wollte dem Reggae-Festival den Garaus machen, nachdem jemand den Beamten geflüstert hatte, dass auf Musik-Festivals auch mal ‘ne Tüte geraucht wird. Soso, sagte sich Kölns Oberhaupt Fritz Schramma und wanderte zum Fühlinger See, um sich das Fest flugs reinzuziehen. Danach war er so high (von der Atmosphäre!), dass er die Fortsetzung des Summerjams erlaubte. Schließlich sind nur wenige Festivals von einer derartigen Leichtigkeit beseelt, nur selten wird ein Lebensgefühl so lässig und friedlich vertont wie hier. Woran‘s wohl liegt? Unter den Genre-Festivals ist der Summerjam jedenfalls das populärste. Außerdem blühen die Beziehungen nach Jamaika immer üppiger, so dass auch bei der 19. Ausgabe wieder die Kings der Reggae-Szene den See belagern. Und jetzt: Weiter machen.

Wann? 2. bis 4. Juli 2004

Wo? Köln, Fühlinger See

Wie viel? 74 Euro

Weiter? www.summerjam.de

Vom Hügel schweift der Blick: Die Rheinkultur, das große Gratis-Festival im Rheinland, liegt hübsch eingebettet in den geschwungenen Bonner Rheinauen. Jedes Jahr pilgern hier rund 170.000 Menschen hin, um entspannt dem Pop zu frönen. Und da der viele Gesichter hat, fokussieren die Veranstalter nicht nur ein einzelnes Genre: Vier Bühnen stehen in den Auen, darüber weht Rock, Alternative, darauf stehen Liedermacher und Acoustic-Acts, nebenan dröhnen die Hip-Hop-Stage und die so genannte Breakzone. Diesmal wurden übrigens die famosen Stereophonics verpflichtet, die sich in diesem Jahr sonst nirgends auf einem deutschen Festival blicken lassen. Headliner sind sie aber trotzdem nicht – dieser Part bleibt, zumindest auf der Rock-Bühne, dem grellen Sound der sonderbaren Glamrocker The Darkness vorbehalten.

Wann? 3. Juli 2004

Wo? Bonn, Rheinauen

Wie viel? Umsonst

Weiter? www.rheinkultur.com

Nun, atmosphärisch sind Innenstadt-Festivals eher fad: Aschgraue Häuserzeilen, schroffer Asphalt, viel zu enge Straßen. Nichts für Klaustrophobiker. Doch um Bochum Total kommt einfach kein Musikfan herum. Auch das größte Gratis-Festival des Ruhrgebiets lockt Jahr für Jahr mehrere Hunderttausend Menschen vor vier Bühnen – die Gassen der Bochumer Feier-Promenade Bermuda-Dreieck sind dann immer zum Bersten voll. Musikalisch werden von den Ausrichtern vornehmlich massenkompatible Klänge anvisiert, insbesondere auf der pinkfarbenen Bühne der WDR-Jugendwelle Eins Live. In diesem Jahr verirrt sich deshalb neben Exilia und den Bananafishbones auch die reanimierte Rock-Formation H-Blockx nach Bochum. Bis Redaktionsschluss stand das komplette Line-Up aber noch nicht fest. Es besteht also weiterhin Hoffnung.

Wann? 22. bis 25. Juli 2004

Wo? Bochum, Innenstadt

Wie viel? Umsonst

Weiter? www.bochumtotal.de

Das Juicy Beats- Festival im Dortmunder Westfalenpark ist ein elektronischer Vitaminschock. Seit neun Jahren bieten Ingo Sänger und Carsten Helmich vom Dortmunder Freizeitzentrum West der elektronischen Musik eine grüne, weitläufige Projektionsfläche. Wenn am Mittag die Sonne in den Zenit aufsteigt, jagen bereits die ersten Beats über die Wiesen. Dazu tanzen und feiern die Menschen allüberall. So geht das bis tief in die Nacht, bis nur noch ihre Silhouetten zu erkennen sind, die geradezu hypnotisch dem Rhythmus folgen. Kein Wunder, denn am Beat-Baum hängen im Juli wieder äußerst pralle Früchte: tiefblauer Drum&Bass, saftiger Deep House und NuJazz in zartem grapefruitrosa. Sprich: Dieses Fest ist ein Muss. Gesetzt den Fall, der Sommer funktioniert. Und wenn nicht, fahren eben alle hoch ins Restaurant im Fernsehturm – wo die Off-Beats knarren.

Wann? 31. Juli 2004

Wo? Dortmund, Westfalenpark

Wie viel? 13 Euro

Weiter? www.juicybeats.net

Das Haldern Pop – definitiv unser Favorit in diesem Jahr. Während andere Festivals fröhlich expandieren, erwehren sich die Macher dieses Indie-Abenteuers erfolgreich dem ausufernden Großereignis. Mit 7.000 Menschen ist der idyllische Reitplatz bereits voll. Auf den Brettern steht indessen nicht die übliche Chart-Schande, sondern jene Musiker-Gilde, der Kunst noch mehr bedeutet als schnelles Geld und Musik mehr als abgedroschene Posen. Die Veranstalter geben sich dementsprechend nachdenklich, widmen ihr Fest heuer dem heimischen Obst und Gemüse und besinnen sich auf das Live-Erlebnis im kleinen Rahmen. Diesmal spielt unter anderem der begnadete Singer/Songwriter Paul Weller einen exklusiven Deutschland-Gig, die schwerblütigen Virtuosen von Starsailor sind wieder dabei, wie auch der amerikanische Antifolk-Meister Adam Green.

Wann? 6. und 7. August 2004

Wo? Rees-Haldern, Reitplatz

Wie viel? 44 Euro

Weiter? www.haldern-pop.de

Kaum war die weltweit größte Musikmesse Popkomm nach Berlin ausgebüchst, zückten die Kölner schon ihr neues Konzept: c/o pop heißt das Festival, das sich im August ausschließlich elektronischen Klängen widmet. Die Überlegungen dazu schwirrten schon lange durch die Domstadt, die schließlich bekannt ist für ihre akribischen Elektro-Frickler. Und so zimmert nun ein Kollektiv aus mehreren Veranstaltern einige neue und schon bestehende Festivals zu einem 17-tägigen Mega-Event zusammen. Auch städteplanerisch ist das interessant: Beheimatet ist c/o pop nämlich großenteils auf der „Schäl Sick“, dem stets vergessenen Rhein-Ufer an der Messe. Neben einem integrierten Arbeitskongress planen die Macher außerdem, die in Clubs und draußen angerichteten Töne mit bildender Kunst zu verkuppeln.

Wann? 6. bis 22. August

Wo? Köln, verschiedene Locations

Wie viel? Verschieden, bis 35 Euro

Weiter? www.c-o-pop.de

BORIS R. ROSENKRANZ