Moerser Festival Roots

Das 33. Moers Festival feiert das zehnjährige Ende der Apartheid. Das Programm bewegt sich zielsicher jenseits des Mainstreams

VON HOLGER PAULER

Pfingsten bedeutet am linken Niederrhein immer auch Jazz. Vom 28. bis 31. Mai lockt das 33. Moers-Festival Musikjunkies und Freaks ins größte Zirkuszelt Europas. Mit der betulichen Ruhe der kleinsten Großstadt Deutschlands ist es dann vorbei. Die Besucherzahl liegt bei geschätzten 50.000 – zur Premiere im Jahr 1972 stapelten sich noch 1.000 Jazzfans im alten Schlosshof. Auch das ehemals auf radikalen FreeJazz und frei improvisierte Musik beschränkte Programm hat sich mittlerweile nach allen Seiten – manchmal etwas zu sehr – geöffnet.

Ab Morgen Abend geht es zurück zu den Wurzeln. Anfangs stand das „New Jazz Festival Moers“ in der Tradition des gesellschaftspolitischen Aufbruchs der 68er Bewegung. Die Brücke zwischen gestern und heute schlägt das vielleicht freudigste Ereignis der jüngeren Geschichte: Die African Dance Night steht 10 Jahre nach Beendigung der Apartheid im Zeichen von Nelson Mandela und dem neuen Südafrika. Jungstar Mzekezeke und der Altstar des South-Afrikan Reggae, Lucky Dube, sind dabei. Festivalleiter Burkhard Hennen ist auf diesen Programmpunkt besonders stolz: „Wir haben seit 30 Jahren Musiker aus Südafrika zu Gast. Bis 1994 hauptsächlich aus der Opposition, danach die Nachfahren der friedlichen Revolution.“ Unter der Woche besuchten Musiker der Gruppe Bongo Maffin die Moerser Schulen. Die Schüler hatten sich sechs Wochen inhaltlich darauf vorbereitet. „Das Interesse auf beiden Seiten war voller Energie“, so Hennen. Außergewöhnlich ist auch der Auftritt des Arab Orchestra of Nazareth. In dem von Palästinensern gegründeten Orchester spielen auch Musiker jüdischen und christlichen Glaubens.

Programmatisch hat sich der Ausstieg des langjährigen Mitveranstalters WDR vor zwei Jahren nicht negativ ausgewirkt. Dass sich ausgerechnet die NDR-Bigband unter der Leitung von Colin Towns der Musik Frank Zappas widmet, hat aber eher musikalische Gründe. Ein Schwerpunkt des Festivals ist die Chicagoer Powerjazz-Szene: Der Trompeter Hugh Ragin tritt im Trio mit Kent Kessler und Hamid Drake auf. Der Saxophonist Mars Williams betreut gleich drei Bands. Sein Soul Sonic Circus startet dabei als morgendliches Projekt. Jeweils um 11:00 Uhr. Für Moerser Verhältnisse zu nachtschlafender Zeit. Zur Besetzung des Circus gehören neben Musikern der Chicago-Szene (Gast ist übrigens Ex-MC5 Gitarrist Wayne Kramer) auch acht Akrobaten des Midnight Circus.

Ned Rothenbergs Double Band erlebte vor 13 Jahren mit seinem Doppeltrio (sax, bass, drums) eine umjubelte Moers-Premiere. Nach dem Tod des zweiten Saxophonisten Thomas Chapin und diversen Umbesetzungen gibt es jetzt eine Neuauflage des harmolodischen Funkjazz. Der Posaunist Nils Wogram gehört mit seiner Band Root 70 seit Jahren zu den absoluten Größen des europäischen Jazz. Mit seinen Bandkollegen Hayden Chisholm (sax), Mat Pannon (cl) und Jochen Rückert (dr) gibt er sich rhythmisch dichten aber unverschämt lockeren Spielereien hin. Jazz, Rock, drum‘n‘bass kommen vor, ohne dominant zu sein – ein absolutes Live-Ereignis.

Weitere Programmpunkte: Der grenzüberschreitende Moerser Dauergast Fred Frith im Duo mit der tauben Percussionistin Evelyn Glennie, Ex-Pere Ubu Mastermind David Thomas & Reflections in the Mirrormann, Bill Brufords & Earthworks, die russische Vocalartistin Sainkho Namtchylak, die sechste Auflage des Loft Exils sowie eine Solo-Jazz-Performance von Helge Schneider. Auch bei ihm: Back to the roots, nur anders.

Infos: www.moers-festival.com