herr tietz macht einen weiten einwurf
: Ein Besuch im Lim‘s

Herr Tietz geht in der Nordheidemetropole Buchholz in eine Sportsbar und referiert dort über Hubert Fichte

Fritz Tietz ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.

Das ist doch mal ein erfreulicher Saisonausklang: Bayern nur Zweiter, Dortmund bloß Platz sechs, dafür Bochum im Uefa-Platz-Taumel. Prima auch das klägliche Abschneiden Kölns und Frankfurts, wenig bedauerlich die rasante Kellerfahrt des TSV 1860 München. Allein dass sich Kaiserslautern noch retten konnte, trübt etwas die gute Stimmung. Zumal Lautern seine drei Strafpunkte schon letztes Jahr kriegen und anstelle Bielefelds hätte absteigen müssen. Aber Bielefeld ist gottlob nächste Saison wieder dabei, was ebenso erfreulich ist wie Aachens selten dämlich vergeigter Aufstieg. Können ja noch den Pokal holen, höhö.

Etwas umwölkt allerdings wird diese heitere Saisonbilanz durch eine ganz persönliche Schlappe, die ich kurz vor Ende der Rückrunde einstecken musste. Getreu nämlich jener patenten Lebensregel, derzufolge man jeden Tag mindestens eine Sache tun sollte, die man nie zuvor tat, beschloss ich auch einmal, einen Bundesliga-Spieltag ganz anders zu gestalten als üblich. Statt also die Spielberichte wie sonst immer daheim am Radio zu verfolgen, machte ich mich am 8. Mai auf in die nah gelegene Nordheidemetropole Buchholz i. d. N., um zum ersten Mal in meinem Leben das Top-Spiel des Tages in einer decodergestützten Sportsbar anzuschauen. Genau genommen war es mit dem meisterschaftsvorentscheidenden Match Bayern München gegen Werder Bremen das Top-Spiel der Saison, das im „Lim’s“, so der Name des Buchholzer Premiere-Stützpunktes, auf einer Großleinwand sowie auf etlichen Fernseh-Monitoren dargeboten wurde.

Ich sicherte mir einen Platz vor einem der bereits laufenden TV-Geräte, trank zunächst mal einen Kaffee und harrte dem Anpfiff entgegen. Das Spiel verlief dann noch besser, als von mir und den meisten Lim’s-Besuchern erhofft. Werders frühen Führungstreffer verschuldete ausgerechnet Kahn so herrlich doof, dass mir das ein erstes Freudenbier wert war. Ein weiteres folgte beim 0:2 und ein drittes war bei Ailtons Traumtor zum 0:3 fällig. In der Halbzeitpause kam ich mit den Jungs vom Nachbartisch ins Gespräch: drei der paar hier versammelten Bayernfans, wie ich bereits registriert hatte, und jetzt begreiflicherweise ziemlich geknickt. Ich spendierte ihnen generös drei tröstende und mir ein weiteres Feierbier, und so palaverten und fachsimpelten wir ein wenig, bis ich mich plötzlich und aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Grund als Fußballexperte glaubte ausgeben zu müssen, der jede, ich wiederhole, jede Fußballfachfrage zu beantworten in der Lage sei. Bitte schön, die Herren – fragen Sie, so gab ich großspurig an, und prompt kam sie, die erste Quizaufgabe: wie wohl der älteste deutsche Feldspieler heißt, der jemals ein Bundesliga-Spiel bestritt. Meine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Das ist, ganz klar, der langjährige Schalker Verteidiger Hubert Fichte, sagte ich. War 43 Jahre alt, als er am 21. Mai 1988 sein letztes Bundesliga-Spiel absolvierte. Wird auch Tanne genannt.

Alles richtig so weit, bis auf die, wenn auch nicht unwesentliche, Kleinigkeit, dass der Mann keineswegs Hubert Fichte, sondern Klaus Fichtel heißt. So musste ich mich leider vom Fragesteller belehren lassen, und er hatte, wie mir im selben Moment siedendheiß klar wurde, natürlich Recht. Da saß ich aber schön blöd da. Hubert Fichte! Ein ähnlich peinlicher Lapsus war mir erst vor 20 Jahren passiert, als ich in einem literaturwissenschaftlichen Seminar Karl Kraus mit Peter Kraus verwechselte. Mein Dozent empfahl mir damals, nicht länger mit meiner Halbbildung zu kokettieren und lieber den Mund zu halten. Ebendas tat ich jetzt auch hier im Lim’s, trank während der glücklicherweise just beginnenden zweiten Halbzeit nur noch bitteren, starken Kaffee und schlich mich nach dem Schlusspfiff umgehend. Selbst ein putziger, weil nur ein Auto starker Auto-Korso, der mit einer winzigen Werder-Fahne beflaggt hupend durch Buchholz kurvte, vermochte mich nicht über die Schmach meines ärgerlichen Versprechers hinwegzutrösten. Hubert Fichte! Wäre ich doch bloß vorm Radio hocken geblieben.