Kita-Katastrophe bricht aus

Freie Träger: Senator hat gelogen, Geld für 3900 Kita-Gutscheine war nicht da. Erst 60 bis 70 Prozent der Gutscheine angekommen. Controlling funktioniert nicht

Die von KritikerInnen lange vorhergesagte Katastrophe für den Kita-Bereich trudelt jetzt ein. „Wir sind völlig überfordert. Wir können die Situation nicht einschätzen“, sagte Volker Schmidt von der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AGFW), die rund 20.000 Kita-Plätze anbietet. Erst 60 bis 70 Prozent der Kita-Gutscheine seien in den Einrichtungen angekommen, viele stünden bis zu einem Drittel leer. Und wenn nicht ein Wunder geschieht, wird ein großer Teil von ihnen leer bleiben.

„Wir werden gezwungen sein, in den nächsten Monaten Plätze abzubauen. Hier geht Infrastruktur verloren, die teuer aufgebaut wurde“, sagt AGFW-Geschäftsführer Michael Edele. Drastische Worte findet auch Caritas-Direktor Norbert Kessler: „Ich weiß nicht, ob wir den Skandal noch toppen können.“

Die von Bildungsbehörden-Pressesprecher Alexander Luckow am 21. Juni getroffenen Aussage, 3900 Anträge von berufstätigen Eltern auf der Warteliste würden bis August „voraussichtlich“ bewilligt, habe „nie gestimmt“, sagte Kessler. So habe Kita-Amtsleiter Bernd Heinrich am 23. Juni im Gespräch mit den Trägern gesagt, es täte ihm leid, es sei kein Geld mehr da. Der Senator hat offenbar gepokert in der Hoffnung, durch diese öffentliche Zusicherung Druck zu entfachen, um die fehlenden 15 Millionen Euro zu bekommen.

Kessler wirft dem Senator eine „unseriöse Informationspolitik“ vor, die exakt so lange gedauert habe, bis die Ferien beginnen. Falsch sei auch die Aussage, durch das Kita-Gutscheinsystem wären jetzt schon mehr Kinder als je zuvor mit einem Kita-Platz versorgt. So wurden nach Amtsangaben 48.900 Kinder versorgt, das sind rund 4000 weniger als vor einem Jahr.

Die Gutschein-Pleite richtet in den Häusern strukturelle Schäden an. Da fast nur Hortanträge bewilligt wurden, fehlt jetzt die „turnusmäßige Nachfolge“ für Krippen- und Elementarplätze. Laut einer kleinen Anfrage der GAL wurden hier im August/September 2001 und 2002 je 3400 Plätze neu besetzt, die jetzt – abgesehen von Bewilligungen für Geschwister – den ganzen Herbst über leer bleiben. Dies bedroht Erzieherarbeitsplätze. Edele: „Ein 8-Stunden-Krippenplatz finanziert schon eine viertel Stelle.“ Laut Schmidt kann bereits ein Arbeitsprozess für kleine Träger den Bankrott bedeuten.

Doch nicht mal die ausgegebenen Scheine sind in den Kitas angekommen. „Wir wissen nicht, mit welcher Struktur wir ab August arbeiten“, sagt Brigitte Ambos vom Diakonischen Werk, die eine Kita leitet, in der erst 20 Prozent der Eltern einen Gutschein abgaben. Die zeitliche Verzögerung, liege auch zwischen Behörde und Bezirken, bemängelt die AGFW. Schmidt: „Wir vermuten, dass es kein verlässliches Controlling über die Gutscheinausgabe gibt.“

Wenig Gutes verheißen die eintrudelnden Gutscheine auch in sozialen Brennpunkten wie St. Pauli. So hat die Ganztagskita Brunnenhof für 55 Plätze bisher 34 Scheine. Von diesen 34 Kindern dürfen 20 ab Januar nur noch vier Stunden am Tag ihre Kita besuchen, obwohl sie zum Teil in sehr schwierigen Verhältnissen leben, wie Kita-Leiterin Nicola Rauschning berichtet. KAIJA KUTTER