Zwischen Möbeln und Marterpfahl

Kuno Böses letzter Arbeitstag. Eine Reportage unter Verwendung von Elementen der Homestory und des Mäuschenspielens

Gähnende Leere, Böse hat ganze Arbeit geleistet: ein blanker Tisch, leere Ablagen, in den Schränken nur noch Restbestände des Verfassungsschutzes

„Frau M., legen Sie mir immer noch Akten hin?!“ Mit so einem Satz könnte sie beginnen, die Reportage über den letzten Arbeitstag von Bremens Innen-, Sport- und Kultursenator Kuno Böse. „Frau Martini“ müsste mit „M.“ abgekürzt werden, weil das Genre der Last day-Reportage eine gratwandernde journalistische Mischform darstellt: Privates aus amtlichen Räumen. Das erfordert Fingerspitzengefühl und partielles Anonymisieren.

Die Homestory in Reinkultur hingegen begänne mit einem eindeutigen „Ding Dong“. Kuno Böse würde die Tür seines Schwachhauser Apartments öffnen und dann berichten, wie die Wohnungsauflösung vorangeht. Vorgestern sei der erste Möbelabkaufinteressent vorbeigekommen. Wunderbar intimisierend könnte man berichten, wie Böse nachdenklich in den halb ausgeräumten Kleiderschrank schaut, in dem sich seine vier Bremer Dienstjahre in Kleidergrößen spiegeln.

Ganz links die Jackets von ’98: da war er noch vollschlanker Staatsrat Größe 54. Etwa in der Mitte der Kleiderstange ist dann die Übernahme des Senatorenamtes von Bernt Schulte zu beobachten, der Bügel ganz rechts ist leer: Seinen Sacco der Sondergröße 31/32 hat sich Böse zum Hausbesuch der taz flink übergeworfen.

Schade nur, dass der gar nicht stattgefunden hat. Zurück also in die Amtsgemächer an der Contrescarpe. Doch auch hier liegen sie herum, die textilen Versatzstücke aus dem Leben eines Senators. Gleich im Vorzimmer stolpert man über einen großen Umzugskarton, aus dem die Uniform des obersten Bremer Katastrophenschutzleiters quillt – die hat Kuno Böse auch zunehmend ausgefüllt. Jetzt wandert sie zurück in den Feuerwehr-Fundus und bietet Rohstoff für zwei Uniformen von Nachfolger Röwekamp.

Dann der neugierige Blick in das Machtzentrum selbst: Gähnende Leere empfängt den Besucher – Böse hat ganze Arbeit geleistet. Ein blanker Schreibtisch, leere Ablagen, in den Schränken nur noch Restbestände aus Verfassungsschutz-Berichten. „Die Wandschränke waren das Schlimmste“, stöhnt der Noch-Senator, wischt sich den Schweiß von der Stirn – um mal wieder ein Reportage-Versatzstück einzubauen. Jetzt eine Conclusio: Die ins Auge springende Aufgeräumtheit des Böse’schen Büros: Bei einem täglichen Akten-Input von einem Meter Breite ist sie eine beachtliche Leistung.

Ganz wichtig bei der Die-menschliche-Seite-Story: Die Zukunftsfrage. „Was werden Sie tun, Herr Böse?“ Nach Paris ziehe es ihn, sagt der Romanist und Historiker, dort fühle er sich zu Hause. Ein Buch wolle er dort schreiben. Über die Sozialgeschichte königlicher Amtsträger im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts. Und dann? Ein geruhsames Leben als Privatgelehrter? Nein, er müsse „richtig was zu tun“ haben, schaffen, machen – vielleicht als Generalsekretär einer Stiftung im Wissenschaftsbereich.

Jetzt noch ein paar Rückblicke. Schön und rasant sei die Bremer Zeit gewesen, aber die hiesige Medienlandschaft, nun ja, bei manchen Zeitungen seien ja die Todesanzeigen noch das Lebendigste. Puh, Glück gehabt – in der taz geben nur Wenige ihr Ableben bekannt.

Szenen des Abschiedes, Momente des Menschlichen – die MitarbeiterInnen. Mittwochabend Abschieds-Sause mit dem engsten Kreis (immerhin 18-köpfig) im heiß geliebten „Sale e Pepe“, am Freitag dann der offizielle Akt im Dienstsitz. Alle sind gekommen: Feuerwehrleute aus Bremerhaven, Polizisten aus der Vahr, die Sportbeamten und der Neue: Thomas Röwekamp. Nur – hier nun erscheint der strukturelle Mehrwert der menschelnden Geschichte – die MitarbeiterInnen der Kulturverwaltung sind nicht dabei. Denn die „erbt“ ja Hartmut Perschau – und mit dem gibt es keine Amtsübergabe.

Erst am Dienstag wird der Wirtschafts- und Kultursenator seine neuen Untergebenen am Herdentorsteinweg besuchen, kein Händedruck also mit Böse. Das erinnert an die Szene, wie CDU-Chef Neumann bei der Bekanntgabe der Koalitionsvereinbarungen fast vergaß, den Verbleib der Kultur zu erwähnen.

Live-Report: Ein Kultureller aber hat sich unter die Abschied nehmenden Inneren und Sportlichen gemischt – Reinhard Strömer, Amtsleiter Kultur. Für Böse hat er einen kleinen Marterpfahl dabei, „zum Drumherumtanzen und Abreagieren“. Das habe er, der Amtsleiter, in den letzten Jahren auch regelmäßig nötig gehabt. Obwohl, Böse – Kommentar – ein guter Kultursenator war.

Henning Bleyl

Fotos: Kerstin Rolfes