Überlebender aus Saddams Folterkellern

Der ehemalige Atomwissenschaftler Hussein Schahristani wird vielleicht Iraks Regierungschef

Früher sollte er für Saddam Hussein die Bombe bauen, und weigerte sich. Nun soll der einstige Atomwissenschafter Hussein Schahristani möglicherweise den Irak als erster Ministerpräsident in der Nach-Saddam-Zeit aus dem Schlamassel führen. Zumindest, wenn es nach dem Willen des UN-Sonderbeauftragten Lakhdar Brahimi geht, der in den nächsten Tagen eine Liste mit den Mitgliedern der Interimsregierung präsentieren soll. Allerdings sind noch zwei weitere Kandidaten in der engeren Auswahl.

Der 62-Jährige war früher Chefberater der irakischen Atomenergiekommission und wurde 1979 von Saddam Hussein damit betraut, eine Atombombe zu bauen. Als er sich weigerte, wurde er festgenommen und in einer von Bagdads Geheimdienstzentralen 22 Tage und Nächte lang gefoltert, bis er sich nicht mehr bewegen konnte. Sein Wissen um die Bombe und die Hoffnung seiner Peiniger, ihn doch noch umzudrehen, waren seine Lebensversicherung. Stattdessen schmachtete er elf Jahre lang im Abu-Ghraib-Gefängnis in Einzelhaft. 1991 gelang ihm in den Nachwehen des zweiten Golfkrieges die Flucht in den Iran und ins britische Exil.

Mit den Amerikanern kam er zurück nach Bagdad und dann nach Kerbela, von wo aus er dem moderaten, einflussreichen Ajatollah al-Sistani als Berater zur Seite steht. Der Mann, der von sich behauptet, er hege keine bitteren Gefühle gegen Saddam Hussein, war auch gegenüber den Befreiern wie die meisten Schiiten zunächst recht aufgeschlossen. „Es gab eine Menge guten Willen und Zusammenarbeit“, erinnert er sich.

Doch inzwischen hat auch er sich zu den Kritikern der Besatzung gesellt. Es gebe keine stichhaltigen Gründe, die Wahlen weiter aufzuschieben, argumentiert er. „Die Iraker würden den Weg des bewaffneten Aufstandes à la Falludscha und Muktada al-Sadr ablehnen, wenn sie die Aussicht hätten, ihre legitimen politischen Ziele durch einen demokratischen Prozess verwirklichen zu können“, schrieb er vor kurzem in einem Gastkommentar im Wall Street Journal.

Auch seine Vision über die neue Interimsregierung hat er bereits dargelegt. Sie solle aus Irakern mit Kompetenz und Integrität zusammengestellt werden. Deren wichtigste Aufgabe sei es, so schnell wie möglich mit Hilfe der UNO Wahlen zu organisieren und dann mit einer anerkannten irakischen Autorität die Spirale der Gewalt zu beenden.

Mit Schahristani, der zwar der schiitischen Bevölkerungsmehrheit, aber keiner politischen Gruppierung angehört und einen guten Ruf genießt, hätte die UNO den idealen Geschäftsführer für den Übergang zu Wahlen gefunden. Stets hat er das Handverlesen irakischer Gremien durch die Besatzer abgelehnt, weil ihnen jegliche Legitimität fehle. Jetzt wird Schahristani ironischerweise vielleicht selbst ausgesucht. Akzeptieren wird er das neue Amt nur, wenn sich die Interimsregierung durch Wahlen möglichst schnell wieder abschafft. KARIM EL-GAWHARY