Vamos a la playa

Das Strandflair gilt als erotisierend und liberalisierend, als belebend. Es steht für ein anderes Körpergefühl. Eine Bücherschau vom Klassiker Meereslust bis zu den aktuellen Surfgeschichten

von CHRISTEL BURGHOFF

Für Strandthemen hat man in Frankreich ein feines Gespür. Allen voran Alain Corbain mit seinem Klassiker Meereslust (Wagenbach, Berlin 1990). In wunderbarer Prosa beschreibt der Wissenschaftler den historischen Paradigmenwechsel vom mittelalterlichen Horror vor den „Höllenmächten“ der alles verschlingenden See zur neuzeitlichen Lust am Meer.

Der Umschwung fand vor ungefähr 250 Jahren statt. Vor allem Romantiker, die sich voll Leidenschaft und metaphysischer Sehnsucht den Orten zuwandten, an denen Meer, Himmel und Erde aufeinander treffen, machten die neue Liebe zum Meer populär. Das pralle, vitale Strandleben gilt hingegen als eine Erfindung von Aristokraten. Zärtelnde Damen der feinen Gesellschaft sollten durch Eintauchen ins kalte Wasser von ihren Neurosen und Depressionen geheilt werden. Aber neben den gesundheitlichen Gründen wollte man sich auch neue Vergnügungsstätten mit prachtvollen Seebädern wie Brighton, Travemünde oder Biarritz erschließen. Auf die Adligen treffen hier bald die bürgerlichen Reichen und Schönen und Künstler, alle zieht es zu den mondänen Promenaden und in die Spielkasinos, zu diesen Milieus des Sehens und Gesehenwerdens, denen – je nach Standpunkt – der Ruch beziehungsweise der Charme einer gewissen Freizügigkeit anhaftet.

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Der Weg vom schweren, verhüllenden Badezeug der Badepioniere in den europäischen Seebädern zum schlichten String von heute war weit, aber durch nichts und niemanden ernsthaft aufzuhalten. Denn der Körper ist „das strahlende Zentrum, um das sich das zeitgenössische Badespektakel orchestriert“, so der Sozialwissenschaftler Jean Didier Urbain in seiner viel beachteten Studie Sur la plage (Paris 1995, bislang nur auf Französisch). Er hat den Strand als einen „institutionalisierten Ort der Annäherung der Leiber“ untersucht.

Wo sich heutzutage die Sonnenhungrigen drängeln und um ein bisschen Platz fürs Strandtuch ringen, hat jeder an den Intimitäten des anderen teil. Und jeder beobachtet jeden. Tagträumereien und Flirts, offen oder versteckt – diese kleinen prickelnden Genüsse eines „abweichenden Konformismus“ beobachtet Urbain mit viel Wohlwollen. Von wegen Langeweile und Öde unter Massentouristen: Der oft gescholtene, verpönte Strandtourist sei gewitzter, als man meint. Für Urbain gehört er rehabilitiert. Oder stimmt es etwa nicht, dass der Strand einen „Abstecher ins Paradies“ erlaubt?

Mit den Mitteln des Romans leistete eine angesehene Feministin im vorgerückten Alter der Strandleidenschaft mächtig Vorschub: Salz auf unserer Haut betitelte Benoit Groult (München 1989) ihren erotischen Schmöker über eine Pariser Studentin auf Sommerurlaub und einen bretonischen Fischer. Ihre Heldin macht aus der Affäre ein selbstbewusstes, unkonventionelles Doppelleben. Einerseits ein Leben mit Karriere und Ehe in Paris und andererseits ihre erotische Leidenschaft – bis ins Alter. Erst der Tod des Mannes trennt die beiden. Dieses Buch wurde ein internationaler Hit, es empfiehlt sich als Strandlektüre.

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Beispiel Torremolinos: Dieser Ort wurde zum beliebten internationalen Treffpunkt einer so genannten Protestgeneration, die bereits mit Polizeiwillkür Erfahrungen hatte oder als Kriegsdienstverweigerer dem Vietnamkrieg entkommen wollte, hier sammelten sich wintermüde Nordeuropäer und Jugendliche, die mit sich selbst ins Reine kommen wollten. Der Romancier James A. Michener hat mit „The Drifters“ (von 1971, Die Kinder von Torremolinos, Goldmann-Taschenbuch) dieser Jugend ein Denkmal gesetzt.

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Die vielen tausend Kilometer Strand, die seit diesen Jahren weltweit verbaut wurden, hat niemand genau gezählt. An den Stränden werden die ökologischen Folgen des Massentourismus besonders deutlich sichtbar: Verbauung, Müll, verdrecktes Wasser, die Ruinen der vielen Pleiteprojekte. Die Alternativtouristen trieb es deshalb immer weiter. Vor allem an so genannte unberührte Strände, an denen man unter sich ist. Alex Garland knüpft in seinem spannenden Roman Der Strand (Goldmann, München 1997) an die utopischen Träume einer Szene an, die in Thailand den perfekten Strand gefunden hat. Dieser Strand ist das real existierende Klischee, das Bild vom Strand schlechthin, wie es heutzutage in jeder einschlägigen Werbung Verwendung findet. Hier neigen sich die hohen Kokospalmen dekorativ dem Meer zu, der Sand ist fein und weiß, das Meer glasklar und voll bunter Fische. Hier wird nicht geurlaubt, sondern gelebt, abseits aller Infrastruktur, der Ort ist unter Travellern ein wohl gehütetes Geheimnis. Garland verachtet diese Lebensform, sie erscheint ihm borniert und totalitär. In einem brutalen Finale lässt er sie untergehen.

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Körper statt Ideale: Die kalifornischen Strände auf der anderen Seite des Globus stehen für die Erfindung des entspannten Lifestyles und der schönen, sportlichen Körper der Surfer. Good Vibrations am Strand zwischen dem Warten auf die Welle und dem meditativen Ritt auf ihr. Und alle Welt schaut zu, wenn attraktive Beachboys aktiv werden. Auch dies ein Lebensstil, der massenhaft Sehnsüchte geweckt hat.

Von dem Kalifornier Kem Nunn stammen zwei großartige, sehr spannende Romane aus dem Innenleben der Surferszene, zum einen sein Erstling (von 1984), die Surferbibel Wellenjagd (DuMont, Köln 2002, ursprünglicher Titel: „Nacht über Surf City“), zum anderen Wo Legenden sterben (DuMont, Köln 2001). Dieser Roman ist so perfekt wie die perfekte Welle, auf der Nunn hier literarisch surft, seine Sprache ist glasklar und direkt, der hochdramatische Plot sehr geschickt mit den sozialen Milieus verknüpft, in denen er spielt. Im ersten Buch gibt es Verquickungen mit der kalifornischen Esoterikerszene und reichen Drogenköpfen, im zweiten Buch prallen legendäre Surfer, die es noch einmal wissen wollen, mit den verwahrlosten Nachkommen indianischer Legenden zusammen. Auch hier wird gestorben, allerdings wird nicht massakriert bzw. entsorgt wie bei Garland.

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Bei Mare, der Zeitschrift, die alle zwei Monate mit einer neuen Ausgabe die Meereslust fördert, gibt es nun auch Bücher. Jüngst erschien von Daniel Duane der Roman Surf (Mare, Hamburg 2003). Der Autor beschreibt seine Entscheidung für den Strand und sein Leben unter den Küstenbewohnern wie die Entdeckung der großen Liebe. Mare wird von diesem Stoff sicher noch mehr zutage fördern.