Lieblingsstrände
: Einsam

Wir stehen im Regen, im Sturm, am Strand, und bleiben dort – sie in ein hellblaues Wolltuch und eine wattierte Jacke gehüllt. Ich in wasserabweisenden Regenschutz eingemummelt. Ihre Beine stecken in hohen Gummistiefeln. Der Wind reißt uns die Sätze aus dem Mund. Ob ich diejenige sei, die seit drei Tagen allein auf der Insel herumgehe, fragt sie und weiß die Antwort.

Sie sagt, sie habe in ihren frühen Jahren einige Zeit in einer Kleinstadt auf dem Festland verbracht. Dort sei so viel Lärm gewesen, dass ihr der Kopf schwirrte. Nun lebt sie wieder auf der dem offenen Meer zugewandten Inselseite auf ihrem kleinen Gehöft. In Freiheit, behauptet sie. Und glücklich.

Wenn sie von einem ihrer raren Ausflüge in die andere Welt zurückkehre, gehe sie immer zuerst an diesen Strand, sagt die Frau. Sie sagt das ein wenig verlegen, als würde sie damit Distanz zu ihrer Familie ausdrücken. Hier, am Strand, sei ihre Heimat.

Den Klang des Ozeans hören, wenn eine mächtige Dünung mit enormer Kraft nach zerklüfteten Felsen greift und Wasserwände sich in großen Rundungen zum feinen, weißen Sandstrand neigen. Ein Einziehen, ein Ausdehnen des Meeres. Das Rasseln der Steine hören, die in der Brandung tanzen. Sie sammelt Steine, erzählt sie, und ich zeige ihr einen wohlgeformten schwarzen, den ich aufgelesen habe an diesem Strand. Weiches Wasser formt harten Stein, sagt sie, meinen Stein betrachtend.

Leben am Meer, vom Meer, mit dem Meer und mit einem weiten Horizont – der Fels in der Brandung, auf dem die Frau ihr Zuhause hat, liegt tief vorgeschoben und exponiert im Atlantik und gehört zur Inselkette der Äußeren Hebriden.

Ob sie hier an der Westküste der Insel Barra auf Dauer nicht die Einsamkeit ankomme? Meine Frage beantwortet sie mit einem Lachen. Und fügt an, die Haustüren seien doch immer offen. Dann stapft sie davon, hält Kurs auf die Dünen und wird zur windschiefen Gestalt, deren karierter Wollrock sich wie ein Segel bläht. GUNDA SCHWANTJE