Mehr Krieg, weniger Menschenrechte

Neuer Jahresbericht von amnesty international beklagt, der Anti-Terror-Krieg diene in vielen Staaten als Vorwand für Verletzung von Menschenrechten. ai fordert Zugang zu US-Gefängnissen weltweit. Menschenrechtler sind selbst bedroht

AUS BERLIN HANIN OTHMAN
UND ANNA LEHMANN

Staaten auf der ganzen Welt benutzen den Antiterrorkrieg als Vorwand, um repressive Gesetze zu verabschieden und gegen politische Gegner vorzugehen. Das berichtet die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) in ihrem gestern veröffentlichten Jahresbericht 2004.

Ob in Indien, Kuba oder Mauritius, überall seien Gesetze geschaffen worden, die aus menschenrechtlicher Sicht bedenklich seien. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Anzahl von Staaten angestiegen, in denen Menschen von Sicherheitskräften misshandelt oder gefoltert wurden.

Auch Deutschland wird in dem Bericht kritisiert. Nicht nur die wieder aufkeimende Debatte über die eventuelle Legitimität der Folter verurteilt ai scharf. Wie in den Vorjahren sind erneut Vorwürfe über polizeiliche Misshandlungen in dem Bericht erwähnt. Ai dringt darauf, dass eine unabhängige Beschwerde- und Kontrollstelle für Übergriffe durch Polizisten eingerichtet wird. Bereits im Januar 2004 hatte ai darauf verwiesen, dass Missbrauch von Polizeigewalt ein Strukturproblem sei, das unabhängiger Kontrolle bedürfe.

Im Irak sind die USA laut ai nicht in der Lage die Zivilbevölkerung ausreichend zu schützen. Überfälle und Gewalt gegen Frauen nahmen zu. Durch exzessive Gewaltanwendung der Koalitionstruppen wurden wiederholt Zivilisten getötet und verletzt. Die Rechte von Gefangenen wurden von US-Truppen systematisch verletzt. Die US-Regierung müsse die Isolationshaft abschaffen und den ungehinderten Zugang von Menschenrechtsorganisationen zu US-Haftanstalten in aller Welt gewährleisten.

Besonders gefährdet sind laut ai Frauen und Mädchen in Kriegssituationen. In der Demokratischen Republik Kongo und im Sudan wurde und wird Massenvergewaltigung als Waffe gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Die betroffenen Frauen brauchen dringend Hilfe.

Aber auch die Mitarbeiter von Organisationen wie ai werden zunehmend bedrängt. Im Zuge der Terrorismusbekämpfung würden Verteidiger der Menschenrechte weltweit eingeschüchtert und kriminalisiert, stellten ebenfalls gestern Vertreter des „Observatory for the Protection of Human Rights Defenders“ fest, eines schweizerisch-französischen Bündnisses zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern weltweit. Der neue Bericht der Organisation dokumentiert mehr als 600 Fälle von Willkür und Gewalt gegen Einzelpersonen und Organisationen. „Wir sind besorgt darüber, dass Regierungen Sicherheit zunehmend auf Kosten der Grundrechte durchsetzen“, sagte Eric Sottas von der Weltorganisation gegen Folter (OMCT).

Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Claudia Roth (Grüne) stellte die Tendenz fest, dass der Kampf gegen den Terrorismus als Argument benutzt werde, um innenpolitische Auseinandersetzungen zu führen.

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