In der Kernfrage herrscht Einigkeit

Bei der französischen Debatte über ein Energierahmengesetz überschattet der Streit um die Privatisierung des Stromkonzerns EDF den sonst unbestrittenen Inhalt: Die Atompolitik wird fortgeschrieben, der Weg für den Euro-Atomreaktor EPR frei gemacht

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Christian Bataille ist erzürnt: „Wozu ist das Parlament überhaupt da, wenn die Privatisierung von EDF schon vor der Abstimmung in ganzseitigen Anzeigen als beschlossene Sache dargestellt wird?“. Industrieminister Patrick Devedjian zuckt die Schultern. Sagt, er werde die Anfrage des sozialdemokratischen Abgeordneten an den Chef der Elektrizitätswerke weiterleiten.

Beide Politiker sind Freunde der Atomindustrie. Beide wollen Frankreich, das Land mit der schon jetzt weltweit höchsten AKW-Dichte, mit weiteren Reaktoren zupflastern. Und beide befürworten zu diesem Zweck das Modell EPR, den European Pressurized Reactor, der von dem deutschen Unternehmen Siemens und der französischen Areva gemeinsam entwickelt wird. Beim Energierahmengesetz, das eigentlich am Dienstag verabschiedet werden sollte, kommen sie sich dennoch nicht näher. Nach einer Woche Debatte hatten die beiden Männer und ihre politischen Freunde im Parlament bis Dienstagmorgen erst 2 von 14 Artikeln des Gesetzes besprochen. Von heute an wollen sie weiter diskutieren. Die Abstimmung ist um eine Woche verschoben worden.

Der Grund für die komplizierte Debatte ist nicht etwa Dissens zur Atompolitik. Gegen sie hat nur eine winzige Minderheit der französischen Abgeordneten Einwände. Umstritten ist vielmehr die Privatisierung der Elektrizitätswerke. Die rechte Regierung will sie. Die linke Opposition sagt, dass sie sie nicht will. Und ein großer Teil der französischen Öffentlichkeit sowie fast alle Beschäftigten der Elektrizitätswerke sind dagegen. Für heute haben sämtliche Gewerkschaften zu einem nationalen Streik im Energiebereich aufgerufen, um gegen die Privatisierung zu protestieren. Um sie zu beruhigen, ist sogar Staatspräsident Jacques Chirac in die Bütt getreten. „EDF wird nicht privatisiert“, hat er versichert. Und: „Das Statut der Angestellten und ihre Rente werden garantiert.“

Diese präsidialen Sätze kontrastieren mit der gegenwärtigen Anzeigenkampagne von EDF. Sie wurde just an dem Tag lanciert, als die Regierung im Kabinett ihre Zustimmung zur Kapitalöffnung erklärte – und wie üblich mit „Brüssel“ begründete. Der erste Satz lautet: „EDF wird eine Aktiengesellschaft.“

Angesichts der Privatisierungsdebatte geht der eigentliche Inhalt des Energierahmengesetzes weitgehend unter. Offiziell hat das Gesetz vier Aufgaben: Es soll die Energieversorgung der Zukunft sichern, soll die Umwelt schützen und den Treibhauseffekt bekämpfen, soll einen wettbewerbsfähigen Energiepreis garantieren und den Zugang aller Bürger zur Energie gewährleisten. Ausdrücklich sagt die Regierung, dass mit dem Gesetz auch der Weg für erneuerbare Energien geebnet werden soll. Zentral ist freilich die Fortschreibung der französischen Atompolitik. Noch vor der Sommerpause, wenn beide Kammern das Gesetz verabschiedet haben, soll der Standort für den ersten Demonstrationsreaktor vom Typ EPR aus den Häusern Siemens und Areva bestimmt werden.

Nach Ansicht der AtomgegnerInnen des Netzwerkes Sortir du Nucléaire steht dieser Standort schon lange fest. Sie gehen davon aus, dass der erste EPR in Penly, im Norden der Stadt Rouen, aufgestellt werden soll, wo es bereits zwei alte Reaktoren gibt. In den vergangenen vier Wochen demonstrierten die AtomgegnerInnen quer durch Frankreich gegen diese deutsch-französische Fortschreibung der Atompolitik. Mit ihrem Slogan „heute untätig, morgen strahlend“ blieben die AKW-GegnerInnen freilich ziemlich allein. An der größten Demonstration ihrer antinuklearen Tour de France nahmen am Samstag 2.000 Menschen teil.