Lasten bleiben in Europa ungleich verteilt

Flüchtlinge, denen das Gesetz Mindeststandards vorenthält, können sich an den Europäischen Gerichtshof wenden

BRÜSSEL taz ■ Am 1. Mai ist die europäische Rahmengesetzgebung zum Asyl- und Flüchtlingsrecht in Kraft getreten. Das neue Zuwanderungsgesetz muss diese Vorgaben umsetzen. Da Otto Schily bei seinen EU-Ministerkollegen erreicht hat, dass nur der kleinste gemeinsame Nenner in die Richtlinientexte gelangte, wird das deutsche Gesetz nach Einschätzung von Experten damit nicht in Konflikt geraten.

Der Ende April auf dem Innenministertreffen in Luxemburg erreichte Kompromiss über Mindestnormen für den Flüchtlingsstatus sei eine Liste von unverbindlichen Kriterien, aus der sich die Staaten nach Belieben bedienen können „eine leere Schachtel“, sagte Daphne Bouteillet-Paquet von amnesty Brüssel. Amnesty international glaubt, dass allenfalls der im 8-Punkte-Papier zwischen Regierung und Opposition vereinbarte Flüchtlingsstatus für Opfer nichtstaatlicher oder mit dem Geschlecht begründeter Verfolgung für Zündstoff sorgen könnte. Den Status eines Flüchtlings soll in Deutschland nur erhalten, wer die Voraussetzungen der Genfer Konvention erfüllt. Diese Einschränkung macht die neue europäische Qualifizierungsrichtlinie, die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge festlegt, nicht.

Da die europäischen Vorgaben bewusst vage formuliert sind, werden mittelfristig die Gerichte interpretieren, welche Regelungen von Brüssel beabsichtigt waren und was bewusst den Mitgliedsstaaten überlassen wurde. Für jeden Flüchtling, der glaubt, dass ihm das deutsche Zuwanderungsgesetz die europäischen Mindestrechte vorenthält, ist nun in letzter Instanz der Europäische Gerichtshof zuständig. Auch Großbritannien könnte sich demnächst mit einer solchen Prüfung konfrontiert sehen. Es hat nämlich angekündigt, Flüchtlinge aus als besonders sicher geltenden Ländern zurückzuweisen, ohne die Anträge einzeln zu bearbeiten. Diese Praxis würde noch über die von Deutschland europaweit durchgesetzte Liste sicherer Drittstaaten hinausgehen. Diese Liste war von Schily zur Vorbedingung für eine Einigung gemacht worden und hatte die Verhandlungen auf EU-Ebene jahrelang blockiert, da die Kommission und einige Länder nicht zustimmen wollten. Zwar ist nach der Erweiterung auf der deutschen Liste nur die Schweiz übrig geblieben, doch Flüchtlingsorganisationen fürchten, dass die EU-Innenminister in naher Zukunft Länder wie Weißrussland oder die Ukraine zu sicheren Drittstaaten erklären könnten. Damit wäre Menschen aus diesen Ländern der Fluchtweg in die Europäische Union über sämtliche Mitgliedsstaaten verschlossen.

Das Plädoyer von Innenkommissar Antonio Vitorino, faire Mindeststandards für Verfolgte zu schaffen und parallel dazu echte Einwanderungsmöglichkeiten für Wirtschaftsflüchtlinge, findet im neuen deutschen Zuwanderungsgesetz keinen Niederschlag. Andere EU-Länder werden dem Trend gern folgen, um ihre Einwanderungszahlen niedrig zu halten. Länder wie Belgien und Schweden werden auch in Zukunft einem großen Ansturm ausgesetzt sein, da sie als migrationsfreundlich gelten. Das so genannte Asyl-Shopping und die ungleiche Lastenverteilung, die durch die europäische Rahmengesetzgebung beendet werden sollten, werden weitergehen. DANIELA WEINGÄRTNER