ORTSTERMIN: IN HAMBURG ERÖFFNET DAS HANSA VARIETÉ THEATER WIEDER
: Wenn Hamburg sich selbst feiert

„Das tut nicht not“, sagt Michael, der Portier, als ich ihm meine Karte zeigen will. Anscheinend reicht ihm der Umstand, dass ich ein Jackett trage. Auf dem Steindamm in St. Georg tragen nicht so viele Leute Jackett. Michael selbst trägt eine Uniform. Von seiner Elblotsenmütze strahlt mich golden der Schriftzug „Hansa-Theater“ an. Michael scheint zu sein, was man ein „Original“ nennt. Auch das Haus, in dem er arbeitet, ist so ein Original: Messinglampen, Ölgemälde, Samttapeten, all die Liebe zum Detail – Tradition, kein Zweifel.

„Ein Mythos, ein Wahrzeichen wie die Reeperbahn oder der Michel“, sei das Theater, versichert mir später die kurz angebundene Pressebeauftragte des Theaters. Sie ist beschäftigt. Es ist die Wiedereröffung des Hansa Varieté Theaters im Schmuddelstadtteil – dem einzigen Varieté Theaters der Stadt. Da muss die Pressefrau Freunde begrüßen und Küsschen verteilen. Man scheint sich hier sehr gut zu kennen. Dieser Eröffnungsabend wirkt ein wenig wie ein sehr großes Familientreffen. „Was daran liegt“, antwortet mir die Pressefrau schroff, „dass man sich eben kennt.“

„Wenn das nichts wird, kann er ja immer noch in die Politik gehen“, höre ich eine pompös gekleidete Dame neben mir sagen. Ich überlege noch, ob das wirklich eine Perücke ist, die sie da trägt, als ich von einer Horde Fotografen an den Rand gedrängt werde. Soeben schreitet Friedhelm Steinberg, Chef der Hamburger Börse, durch den Saal. Ähnlich panische Stimmung kam auch schon auf, als Udo Lindenberg eintraf. „Ganz viele Leute aus der Wirtschaft sind da“, erfahre ich später von einer hilfsbereiten Kollegin. „Auch Leute, die normalerweise nicht so ins Theater gehen. Alte hanseatische Kaufmänner und so.“

Man weist mir einen Platz neben einer älteren Dame zu. Ich frage sie, wie der Wein sei – eine Weißburgunder-Chardonnay Cuvée. „Den kennt man!“, antwortet sie mir und wendet sich ab. Dann beginnt, endlich, die Show. Nein, erstmal treten Thomas Collien und Ulrich Waller auf die Bühne und erklären selbstgefällig, warum sie sich dazu entschieden haben, das Theater zu retten. Dann aber: die Show. Sie ist, was man von einem Varieté Theater zu erwarten hat: seichte Musik, Pudel, die durch Ringe springen und osteuropäische Artisten, die sich darin üben, die Ästhetik von, sagen wir: Leni Riefenstahl zu reproduzieren.

Einziger Lichtblick ist der Kabarettist, der mit sarkastischen Bemerkungen durchs Programm führt. Ansonsten bleibt die Unterhaltung auf dem Niveau von RTL 2. An schlechten Tagen. Der Unterschied ist, dass RTL 2 es versteht, das so genannt gemeine Volk anzusprechen. Hier hingegen hat sich an diesem Abend Hamburgs gehobenes Bürgertum eingefunden – und damit wohl das Wunschpublikum: Rund 35 Euro kostet eine Karte im Durchschnitt.

In der Pause strömen die Herrschaften vor die Tür, um zu rauchen. Wie fehl am Platz sie hier doch wirken: Ganz normale Bewohner von St. Georg laufen vorbei und begutachten die Theaterbesucher ungläubig. Eine Mischung aus Neid und Verachtung spricht aus ihren Augen. Die Leute im Stadtteil, der lange Jahre synonym war mit Drogenelend und Verwahrlosung, sie hätten sich wahrscheinlich eher über ein neues Kino gefreut. JOHANN TISCHEWSKI