Galoppierende Rhythmen

Am Donnerstagabend stellte Tilman Rammstedt im „Babette“ seinen Roman „Der Kaiser von China“ vor und bewies dabei wieder einmal eindrucksvoll, dass er der unangefochtene Meister im Schnelllesen ist

Im Allgemeinen finden Buchpräsentationen vor allem statt, um einem soeben erschienenen literarischen Werk ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit zu verschaffen. Auf die Präsentation von Tilman Rammstedts „Der Kaiser von China“ trifft dies allerdings nur bedingt zu, denn zum einen ist der Roman bereits vor knapp drei Monaten veröffentlicht worden, zum anderen hat er sich in der Zwischenzeit zu einem veritablen Bestseller entwickelt.

Nur kurz lesen …

Daher war es auch nicht weiter verwunderlich, dass das „Babette“, ein großer Glaskubus in der Karl-Marx-Allee, am Donnerstagabend sehr gut gefüllt war, als Rammstedt – schwarze Hose, weißes Hemd, Pullunder, Zehntagebart – um kurz vor halb neun ans Mikrofon trat, um den Abend zu eröffnen. Aufgrund des späten Termins handele es sich, so Rammstedt, eigentlich mehr um „eine Mischung aus Premiere und Abschlussfeier“.

Weshalb er auch nur kurz lesen wolle – um schnell mit dem Feiern beginnen zu können.

Sogleich legte der 1975 in Bielefeld geborene, aber schon länger in Berlin lebende Autor mit eben jener Rasanz los, mit der er bereits vor einem halben Jahr zum Sieg beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt galoppiert war, während draußen vor den großen Panoramafenstern griesgrämige Passanten durch den Scheematsch schlurften. Das Buch handelt von einem jungen Mann, Keith, und dessen schrulligem Großvater, der sich vor kurzem mit dem Auto auf den Weg nach China begeben hat, jedoch nur bis in den Westerwald kam, wo er plötzlich und unerwartet verstarb – was bis auf Keith jedoch noch niemand weiß.

„Dass auch die vorletzte Postkarte nicht aus China kam, war leicht zu erkennen. Sie war mit einer deutschen Briefmarke frankiert, das Bild des dicken goldenen Mannes war aus irgendeinem Reiseprospekt herausgerissen und notdürftig über eine Gratispostkarte geklebt worden, eine Ecke hatte sich bereits gelöst, ein Eisbär kam darunter zum Vorschein“, las der Autor in einem Tempo, das umso deutlicher erkennen ließ, wie perfekt rhythmisiert dieser Text ist, wie gut dieses Buch eben nicht nur auf erzählerischer, sondern auch auf klanglicher Ebene funktioniert.

Vielen Dank!

Dass im Publikum so häufig und ausgiebig gelacht wurde, lag vor allem daran, dass Tilman Rammstedt ein wahrer Meister darin ist, Figuren skurril zu überzeichnen, sie plötzlich für einen Moment ins Slapstickhafte oder Groteske kippen zu lassen – vor allem den Großvater: „Meinem älteren Bruder schenkte er ständig Wein nach, auch wenn dieser betont hatte, noch fahren zu müssen, meine ältere Schwester berichtete von Kratzspuren am Kabel ihres Föhns.“

Allerdings merkte man im Verlauf der Lesung auch, dass „Der Kaiser von China“ ein zwar überaus unterhaltsames, aber eben kein grandioses Buch ist. Was ihm fehlt, ist eine gewisse Fallhöhe, die thematisch ähnliche Werke wie etwa Donald Antrims bitterböse Hommage an seine verstorbene „Mutter“ auszeichnet.

Während Antrim nämlich in seinen zum Teil schmerzhaften Schilderungen eine Menge in die Waagschale wirft, geht Rammstedts Text ein bisschen zu oft auf Nummer sicher, indem er im Distanziert-Ironischen verharrt. Dennoch hatte man, als der Autor die Lesung nach einer knappen Stunde mit einem schlichten „Vielen Dank“ beendete, das Gefühl, sehr gut unterhalten worden zu sein. Dementsprechend großzügig fiel der Applaus aus und die Party konnte endlich beginnen. ANDREAS RESCH

Tilman Rammstedt: „Der Kaiser von China“. Dumont Verlag, 17,90 Euro, 192 Seiten