Zwei Gesichter

Er schuf IBM-Hochhaus und filigrane Villen: Dem Architekten Werner Kallmorgen widmet das Ernst Barlach Haus erstmals eine große Schau

von HAJO SCHIFF

Unter dem Titel Das Neue gegen das Alte wird er anlässlich des diesjährigen Architektursommers im nobilitierenden Singular als „Hamburgs Architekt der Nachkriegszeit“ gefeiert. Und in der Tat hatte der 1979 verstorbene Werner Kallmorgen, der in seinem Leben etwa 600 junge Architekten durch sein Büro schleuste, einen großen Einfluss auf den Wiederaufbau nicht nur in Hamburg.

Schon zwei Jahre nach seiner Selbständigkeit wurde der 1902 in eine Altonaer Baumeisterfamilie geborene Werner Kallmorgen 1929 erstmals überregional mit dem „Tiergartenring“ bekannt: Um den Autoverkehr aus dem Berliner Park zu verbannen sah er ringsherum eine geschlossene Bebauung vor, für die als Eingang gar das Brandenburger Tor versetzt werden sollte. Von 1931 bis 1934 plante er für Stockholm die Neubebauung der Altstadt, und 1940/41 entwarf er unter Missachtung aller Besitzverhältnisse und unter Inkaufnahme eines Abrisses des Jenisch-Hauses die riesige „Hansesche Universität“, die ganz Flottbek eingenommen hätte.

Solche Großplanungen machen Architekten empfänglich für die Verheißungen des Totalitarismus: „Der Liberalismus war gut, um die Gedanken zu gebären, erst das autoritäre Prinzip ist in der Lage, sie zu verwirklichen“, notiert Kallmorgen 1941 in einem Redeentwurf. Einerseits distanzierte sich der Architekt 1944 vom offiziellen Baustil als einem „merkwürdig archaisierenden, barbarischen Klassizismus“, andererseits führte er nach Kriegsende aus, die „nationalsozialistische Episode“ habe den Revolutionären aus den 20er Jahren die Möglichkeit gegeben, ihre Vorstellungen weiter zu entwickeln.

Die Biographie Kallmorgens erinnert an die Kontinuität der Stadtplanung: Die heute als problematisch erlebte Ost-West-Straße wurde schon seit 1939 geplant, 40.000 Häuser fielen 1943 der Operation Gomorrha zum Opfer, und der Wiederaufbauplan Hamburgs war bereits vor der Kapitulation des NS-Reiches fertiggestellt.

Der Architekt Kallmorgen zeigt dabei zwei verblüffend unterschiedliche Gesichter: Er beteiligte sich an den Bauaufgaben der NS-Zeit, baute Bunker und „Fremdarbeiterlager“ und als Verstecke für die Parteielite 30 so genannte hölzerne, grasbedachte „Norwegerhäuser“ in Wohldorf, die heute als ökologische Bauten geschätzt werden. Mitten im Bombenhagel galt sein Interesse seltsamerweise dem Ausbau der Alster zu einem „Holsteinischen See“. 1948 wollte er Ringstraßen durch die innere Innenstadt ziehen und noch 1969 ganz St. Pauli-Süd für endlose Hochhauskomplexe abreißen. Andererseits stammen von ihm so schön leichte Bauten wie die bis heute erhaltene Bücherstube Stolterfoth von 1948 an der Hallerstraße sowie mehrere der Landschaft angepasste Siedlungen und vor allem wunderbare Privathäuser.

Auch in der Speicherstadt schloss er Baulücken mit einer sich nicht anbiedernden Moderne. Doch an Mittelweg und Milchstraße klotzte der Jugendstilsammler in das fast intakte alte Viertel 1968-1973 die Betonmasse des Pöseldorfcenters. 1962-66 erbaute Kallmorgen den Kaispeicher A. Er umfasst 30.140 Quadratmeter Fläche und 107.100 Kubikmeter Raum. Mit einem Wald von Pilzstützen sind die Geschosse pro Quadratmeter mit zwei Tonnen belastbar. Leider soll der intelligent gegliederte Klinker-Koloss im Zuge des Neubaus des Media-City-Ports abgerissen werden, obwohl seit kurzem ein Plan der Schweizer Architektenstars Herzog & de Meuron vorliegt: Sie wollen die Belastbarkeit des Gebäudes nutzen, um auf seinem Dach eine neue Philharmonie für Hamburg samt Gastronomie und Hotel zu bauen. Es ist zu hoffen, dass es Kallmorgen, der stets das Neue gegen das Alte setzte – er baute mehrfach die Architekturen seines Vaters um – hier erspart bleibt, das sein wichtigster Industriebau abgerissen wird.

Was die Ausstellung der Fotos, Modelle und Dokumente im Ernst Barlach Haus angeht, so ist ihr bestes Zeugnis für Werner Kallmorgen das Ausstellungshaus selbst, das 1960-62 als sein Meisterwerk errichtet wurde. In seiner einfachen Kubatur ist es ein gelungenes Pendant zum in Sichtweite befindlichen, ebenso weißen und quadratbezogenen klassizistischen Jenisch-Haus.

Werner Kallmorgen: Das Neue gegen das Alte – Hamburgs Architekt der Nachkriegszeit. Ernst Barlach Haus, Jenischpark, Baron-Voght-Straße 50a; Di–So 11–18 Uhr; bis 28.9. Katalog 19,80 Euro; Werkmonographie in der Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs, 424 S., 39,80 Euro