Rot-Grün angeschwärzt

Menschenrechtsgruppen üben heftige Kritik am Kompromiss zur Zuwanderung: „Bütikofer brüllt erst wie ein Löwe und sitzt jetzt nicht mal mehr am Katzentisch.“ Auch viele Grüne enttäuscht

BERLIN taz ■ Die Einigung von Bundesregierung und Opposition auf Eckpunkte eines Zuwanderungsgesetzes ist auf breite Kritik von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen gestoßen. Eine „große Koalition der Zuwanderungsverhinderer“ sieht Pro Asyl am Werk. „Etikettenschwindel statt Zuwanderung“, hieß es beim Interkulturellen Rat, der eine „Einigung auf dem Rücken von Migranten und Flüchtlingen“ sieht.

Am Dienstag hatte sich Kanzler Schröder mit der Opposition auf die Grundsätze des Gesetzes geeinigt. Danach werden Ausweisungsmöglichkeiten erleichtert. Zugleich soll die Integration von Migranten verbessert werden.

Amnesty international betrachtete die Einigung „mit einiger Skepsis“. Flüchtlingsexperte Wolfgang Grenz sagte zur taz: „Wenn Rot-Grün allein ausländerrechtliche Verbesserungen beschlossen hätte, dann wäre das besser gewesen als dieses Zuwanderungsgesetz.“

„Schröder und Schily sind auf CDU-Kurs umgeschwenkt“, so Günter Burkhardt von Pro Asyl. Die Grünen hätten ihr Mandat quasi aufgegeben: „Bütikofer hat gebrüllt wie ein Löwe, und jetzt sitzen die Grünen nicht einmal mehr am Katzentisch“, kritisiert Burkhardt.

Auch innerhalb der Grünen stieß der Zuwanderungskompromiss auf Kritik. Es sei „ein klarer Affront gegen die Grünen“, dass sie an der Ausformulierung des Gesetzes nicht beteiligt würden, urteilte Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele. Das Zugeständnis an die Union, für Zuwanderer die Regelanfrage beim Verfassungsschutz zur Pflicht zu machen, sei ein „klarer Dissenspunkt“, der vom Beschluss der Partei abweiche. Bei einer Telefonkonferenz kam Kritik von verschiedenen Landesverbänden der Partei.

Die innerparteiliche Kritik könnte dazu führen, dass die Grünen einen kleinen Parteitag einberufen, um über den Kompromiss zu beraten. Eine Entscheidung darüber wird aber erst nach Vorliegen des Gesetzentwurfs Ende Juni erwartet.

Der grüne Spitzenkandidat für Europa, Daniel Cohn-Bendit, sagte der taz, dieser Kompromiss sei „kein Einwanderungsgesetz“. Deutschland habe „mal wieder eine Chance verpasst“. Es gebe „keinen Grund sich zu freuen, aber auch keinen, um Harakiri zu machen“, sagte er. Der SPD-Europaabgeordnete Ozan Ceyhun sprach von einem „mageren Ergebnis“, das kein Vorbild für Europa sei. Er sei aber froh, „dass es überhaupt ein Ergebnis gibt“.

Skeptisch äußerten sich auch Vertreter der Wirtschaft. „Das ist kein historischer Wurf, sondern nur ein Einstieg“, sagte DIW-Chef Klaus Zimmermann. Er kritisierte, Deutschland stehe im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte weiter beiseite. OES, KLH

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