Tief sitzende Hosen

Am Stuttgarter Theater Rampe wurde Jan Friedhoffs Stück „Die Kinder bringen den Müll raus“ uraufgeführt

Im Theater-Foyer hat man vorsorglich Ohrstöpsel verteilt. Bass und Schlagzeug wummern schon, während das Publikum nach und nach auf Clubatmosphäre eingestimmt wird. Auf einer überdimensionalen Projektionsfläche flimmern Computerspiele, die Schauspieler mischen sich unters Volk. Das ist derzeit der Trend an deutschen Bühnen, dem das Stuttgarter Theater Rampe mit der Uraufführung von Jan Friedhoffs Stück „Die Kinder bringen den Müll raus“ folgt. Das Publikum ist auf Tuchfühlung, Schauspieler und zwei Sängerinnen agieren auf mehreren Spielflächen. Zam Helga, Musiker, Komponist und Herr über die Lautstärke, thront zwischen Keyboard und Schlagzeug über den Sitzreihen und bringt sie dröhnend zum Erzittern.

Der Regisseur Klaus Baumeister, der auch das Bühnenbild und die Video-Ebene konzipiert hat, hat nichts unversucht gelassen, um seine Inszenierung von „Die Kinder bringen den Müll raus“ nah an das Lebensgefühl einer Generation heranzuschieben, die man eher vor dem Computer als im Theatersaal erwartet. Denn der 30-jährige Autor Jan Friedhoff, der, wie derzeit viele junge Autoren, an der Universität der Künste in Berlin Szenisches Schreiben studiert, porträtiert in seinem ersten Stück eine Clique von Jugendlichen aus seiner Heimat, dem Ruhrgebiet. In rund 30 kurzen Szenen skizziert Friedhoff das Leben der Kids zwischen TV-Berieselung, Joystick und Fastfood. Die Sehnsucht nach Verständnis und Liebe und ihren Frust über kaputte Familienverhältnisse verbergen Heiko, Leni, Nadine, Karl, Gregor und Alban gekonnt hinter coolem Gehabe und markigen Sprüchen.

Nach solchem real life hungern die Theater: 2002 war das Stück zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen und für die Hamburger Autorentheatertage des Thalia-Theaters ausgewählt. In der dem Alltag abgelauschten drastischen Jugendsprache finden sich durchaus feine Zwischentöne. Allein, man müsste es verstehen, diese sehr versteckte tiefere Ebene aufzudecken. Baumeister jedoch deckt den Subtext eher zu. Er lässt die Schauspieler meist in derselben angehobenen Phonstärke sprechen, ja schreien. Damit verwischt er die durchaus vorhandene Fallhöhe des Stücks. Ob die Schauspieler nicht über das Potenzial verfügen, ihre Figuren glaubhaft darzustellen, oder ob der Regisseur ihnen dazu keinen Raum lässt, ist kaum auszumachen. Jedenfalls wirkt das alles wenig authentisch, auch wenn die Cargo-Hosen modisch korrekt ganz tief auf der Hüfte sitzen.

Ob der immer wieder dazwischen geschaltete Sound und die Live-Musik von Zam Helga und den beiden Sängerinnen, genannt Babs und Susi, den Theaterabend entscheidend befördern, bleibt Geschmackssache. Wer harte Punkklänge nicht mag, wird eher leiden. Wie vor allem Frank Castorf es erfolgreich vorgemacht hat, sucht auch Klaus Baumeister das Bühnengeschehen mit einer Video-Ebene ironisch zu kommentieren. Während die Schauspieler auf der fast leeren Bühne, mit gelbblonden Perücken verfremdet, nur durch die Kraft ihres Spiels die Situationen kenntlich machen müssen, läuft immer wieder parallel auf der riesigen Projektionsfläche eine Variante der gleichen Szene in einem Video ab, das wesentlich naturalistischer gestaltet ist. Zusammen mit Computerspielen, TV-Ausschnitten und Live-Übertragungen aus dem Foyer ergibt das eine komplex verschachtelte mediale Ebene, die sich mit dem Theaterspiel aber nicht zu einem stimmigen Ganzen zu verbindet. Das wirklich packende, wahre Leben findet nur noch medial vermittelt auf dem Monitor statt; dieser Konkurrenz unterliegen die Körper der Darsteller. Das wirklich packende Theatererlebnis vermisst man bei dieser Aufführung dann leider ebenfalls. CLAUDIA GASS