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: Berliner Biografien für Millionen: Toupetmagnatinnen, Maskenrapper und Politrock-Groupies

Sind schon ein verdammt knorkes Volk, die BerlinerInnen. Man wüsste gar nicht, was man ohne sie in dieser zugigen Stadt anfinge. Und woher man all die schönen Biografie-Highlights nehmen sollte!

Ich bin immer wieder erstaunt darüber, womit mich Eingeborene begeistern. Meine Südberliner Freundin zum Beispiel, die zu fast jeder Eis-Hennig-Filiale eine schicke 80er-Jahre-Knutschgeschichte auf Lager hat, erzählte mir neulich, nach jahrelanger Freundschaft, dass ihre Mutter in den 60ern das erste Toupet-Geschäft in Berlin eröffnet hat. Und das war nicht nur irgendein Toupet-Geschäft, nein: das war die Top-Toupet-Adresse der Stadt! Ihre Mutter habe, ließ meine Freundin beiläufig bei einer Portion Kartoffeln mit Leinöl und Quark fallen, die Kunst des Toupetanpassens von einem windigen Geschäftsmann in den USA erlernt, der seine Kenntnisse wiederum von einem afrikanischen Stammeshäuptling gegen ein paar billige Glasperlen oder etwas Ähnliches eingetauscht hatte. Das sei nämlich eine ganz besondere Flechtart: Man setzt dem obenrum nackten Mann nicht einfach eine Haarmütze auf die Fleischmütze, sondern flechte den künstlichen Kopfschmuck so afrikanisch-fingerfertig an den verbliebenen echten Kranz, dass die neuen Haare nicht mal beim Bodenrock abgingen. Davor, so meine Freundin, seien Berlins Glatzköpfe frustrierte Lachnummern gewesen. Ihre Mutter habe den frierenden Häuptern der Stadt quasi über Nacht neuen Lebensmut gegeben und sich damit nebenbei auch noch die Rente gesichert, die sie jetzt mit ihrem haupthaarigen Ehemann im Ausland verjubele.

Noch ganz baff von dieser Auskunft konnte ich bei der Geschichte, dass eine andere Bekannte aus Nordberlin mit einem Original-Mitglied der Klimbim-Familie verwandt ist, nur noch müde die Augenbrauen hochziehen. Obwohl das natürlich auch ein echter Anekdoten-Knüller ist. Zumal ich nicht etwa von der Steeger-Sippe rede. Ich möchte trotzdem lieber nicht ins Detail gehen, man weiß ja nie, welche Familienehren man da wieder beleidigt. Nur so viel: Sogar ich würde meinen heiß geliebten Nachnamen eventuell aufgeben für diesen wohlklingenden Leumund. Andererseits braucht man für die Schreibweise des gesuchten Namens komische Sonderzeichen, von denen ich nicht weiß, hinter welcher Tastatur-Taste sie sich verstecken. Ich vermag in Stoßzeiten ja nicht mal das @ zu finden.

Aber bei Frau Steeger, die sich seit Jahren bemüht, noch mal die Kurve ins Charakterfach zu kratzen, beziehungsweise zu kriegen, fällt mir dieser hübsche 60er-Jahre-Psychedelic-Film ein, in dem sie ein dummes junges Ding auf der schiefen Groupie-Laufbahn spielt. Und dabei fällt mir wiederum ein, dass es entgegen meinen Vermutungen angeblich immer noch eine Menge echter Groupies gibt, die meisten versuchen gerade, mit dem Berliner Maskenrapper Sido ins Bett zu gehen, das behauptet der junge Aufschneider jedenfalls momentan gegenüber allen Zeitungen. Wieder so eine typische Berliner- Geschichte, bei der der Wunsch nicht nur Vater, sondern auch Mutter, Tante und Omi des Gedanken war. Groupies werden heutzutage längst ersetzt von ganz normalen, weiblichen Musikfans. Bei International Noise Conspiracy neulich im SO 36 zum Beispiel stand die ganze rechte Bank voller haareschüttelnder Mädchen, die man auf den ersten Blick für Groupies der Politbeatniks halten konnte. Nach dem Konzert ließen sie sich aber kollektiv von ihren Freunden von der Bank herunterheben, und mir wurde klar: Das sind keine Groupies, das sind einfach nur Mädchen mit gutem Musikgeschmack. Auch das gibt es in Berlin zuhauf.

Jetzt muss ich das freie Berlin-Geschichten-Assoziationsspiel schnell unterbinden. Ich habe nämlich große Angst, sonst irgendwann aus Versehen bei Frank Zander zu landen.

JENNI ZYLKA