„Abbasonzjehtsnochwa?“

Von der Heideprovinz in die Hauptstadt. Was sich während einer Berlin-Reise Wunderliches zutragen kann

Als ich das letzte Mal die Hauptstadt aufsuchte, hatte man extra für mich Rezzo Schlauch an den Straßenrand gestellt. Diesmal war es nur ein seriöser Nachrichtenmoderator, der an seinem Schuh herumnestelte. Klingt nach wenig, aber ich erwähne noch, dass das Nachrichtenmoderatorskind, ungefähr zehn Jahr alt, hinter ihm stand und ihm fünfmal einen Fußball an den Kopf warf. Der Mann reagierte überhaupt nicht. Offenbar schickt die ARD nur foltertrainierte Journalisten ins Rennen und sperrt sie zur Abhärtung wochenlang in fensterlose Studios ein, sodass ihnen ein paar Prügel unter freiem Himmel wie ein Geschenk erscheinen.

Ich wunderte mich nicht, denn tags zuvor hatte ich mich mit Fräulein Ratibor in einer viel zu angesagten Kneipe getroffen, in die sie ihr Zicklein mitbrachte. Das Zicklein war tot, tiefgefroren und nahm den Stuhl zwischen uns ein, bis sich der Koch erbarmte und das Tier für den Rest des Abends in der Küche unterhielt. Vorher war es bereits merklich zusammengesackt, weil es sich nicht für uns interessierte, obwohl wir uns bemühten, prominent zu wirken, um von Touristen erkannt zu werden.

In der Küche blieb dem Zicklein dann nicht nur die Aufzählung der Dinge, die am nächsten Tag mit ihm geschehen sollten, sondern auch der Anblick riesiger Schnitzel auf unseren Tellern erspart. Eine Speise, die das gemeine Fräulein Ratibor zu dem Spiel „Länderraten“ anregte. Es stimmt nämlich gar nicht, dass alle Schnitzel aussehen wie Österreich. Herr Kringel, der mit uns am Tisch saß, verzehrte in Rekordgeschwindigkeit das gesamte EU-Beitrittsgebiet, während ich an einem Klumpen herumsäbelte, in dessen Form und Fettigkeit eindeutig die Berliner Seele zu erkennen war.

Dann zog der prominente Blattmacher Kringel triumphierend seine Nasendusche aus dem Nasenduschenhalfter und drohte damit über den Tisch, nur weil ich einmal in sein Lettland hatte beißen wollen, das viel besser aussah als mein dunkel gegrilltes Dahlem. Erfreulicherweise konnte die Ratibor ihn davon abhalten, seine enormen Kenntnisse über Nasenpolypenoperationen an mir zu demonstrieren.

Mit der Berliner Seele hatte ich schon früher am Abend Bekanntschaft gemacht. Als Bewohnerin eines Dorfes, dessen kulturelle Attraktion ein Briefkasten mit täglicher Leerung ist, hatte ich die Berliner Theaterszene erkunden wollen (ja, so muss man reden, wenn man Provinz-Freigängerin ist), und landete neben einem Paar, das sich mehr für Selbsterfahrung interessierte als für Bert Brecht. So erfuhr auch ich gezwungenermaßen, während sich die Schauspieler auf der Bühne mühten, dass mein Sitznachbar von seiner letzten Freundin verlassen wurde, weil ihre Kinder ihr wichtiger waren als er. Das konnte ich gut verstehen, mir war schließlich sogar Bert Brecht, der alte Promi, wichtiger als er.

Jeder Berliner sollte aber ein Schild „Ansprechen auf eigene Gefahr“ um den Hals tragen, denn dieser Berliner antwortete auf meine Bitte um Ruhe: „Abbasonzjehtsnochwa?“ Keine Ahnung, ob es sonst geht. Wie soll ich das feststellen?

Als wir aus Berlin abfuhren, um zu unserem Briefkasten zurückzukehren, hätte ich beinahe Wolfgang Niedecken umgelaufen, und das auch noch, ohne ihn zu erkennen, weil er, wie alle Männer, in Wirklichkeit viel kleiner ist. Wenigstens hatte er Kinder und Nasendusche zu Hause gelassen. SUSANNE FISCHER