PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: Der Hummer aus dem Hochofen

Ich wollte fein und billig speisen und dabei arme Indianer begutachten. Nichts davon trat ein. Doch, eines: Billig war’s

Außer den Apachen (gute Indianer), den Cheyenne (böse Indianer), den Navahos (bedrohte Indianer) und den Lakotas (betrunkene Indianer) kannte ich bis vor kurzem keine weiteren Indianerstämme. Mein Wissen gründete sich allerdings auch allein auf die lange schon zurückliegende Lektüre von Karl May und dem unregelmäßigen Erscheinen der Mitgliederzeitschrift der Gesellschaft für bedrohte Völker. Von den Miccosukee hatte ich jedenfalls bis vor ein paar Tagen noch nie etwas gehört. Und auch jetzt muss ich, um die richtige Schreibweise zu benutzen, noch immer auf die Visitenkarte spicken, die mir Debbie Tiger, die Pressesprecherin der Miccosukee-Indianer, vorgestern in die Hand gedrückt hat. „Media Relation“ steht auf der Karte, und ein Bildchen zeigt eine Schilfdachhütte vor der ein Alligator liegt.

Wir hatten uns verfahren. Im Reiseführer von Florida war als Adresse für ein besonders billiges Hummerrestaurant die 177. Straße in Miami genannt worden, und weil ich billigen Hummer sehr schätze, musste ich unbedingt dorthin. Es kam mir zwar komisch vor, dass die Stadtgrenze von Miami eigentlich an der 150. Straße endet und von da an die Sumpflandschaft der Everglades beginnt. Aber die 6 Dollar und 95 Cent, die der Hummer im „Café Hammock“ kosten sollte, ließen mich nicht so schnell aufgeben. Und dann hatte da ja noch gestanden, der Hummer würde von Indianern zubereitet und die wohnen bekanntlich nicht in, sondern außerhalb der Stadt.

Eine Weißhaut, die an einem Parkplatz einen Gemüsestand aufgebaut hatte, hatte vom „Café Hammock“ noch nie etwas gehört. Aber als ich „Lobster“ und „Indians“ sagte, wusste der Gemüsehändler sofort bescheid. Nur noch fünf Meilen und wir seien dort. Die Ankunft bei den Indianern an der 177. Straße von Miami muss man sich ungefähr so vorstellen, als stünde eine Gruppe japanischer Touristen vor dem Hochofen von Thyssen-Krupp in Bottrop und der Reiseleiter würde steif und fest behaupten, dass es sich hier um Schloss Neuschwanstein handelt. Was man sieht und was man erwartete zu sehen, haben nichts miteinander zu tun.

Gleich neben einer Autobahn ähnlichen Straßenkreuzung erhob sich ein fünfzehnstöckiger Kasten aus Beton und Stahl. Der Parkplatz davor war so groß, dass man sein Ende nicht erblickte. Wir waren da.

Das „Gaming-Ressort“ der Miccosukee-Indianer, weiß ich heute, gehört zu den florierendsten Unternehmen in Florida. Hunderte von Spielautomaten, Pokertische, Bingosäle und andere Glückspieleinrichtungen sind in dem Gebäude verteilt, und tatsächlich gibt es dort auch irgendwo zwischen Daddelautomaten und einem Indianer-Souvenirladen ein Restaurant das „Café Hammock“ heißt und in dem es lauwarmen Hummer für 6,95 Dollar gibt.

Das eigentliche Indianerreservat der etwas 500 noch lebenden Miccosukee-Indianer liegt zwanzig Meilen westlich davon entfernt im Nationalpark der Everglades. Vor den Häusern sah ich Jaguar, Porsche und Chevrolet parken und noch einmal Chevrolets, Jaguars und Porsches. Im Zentrum des Indianerdorfs hat sich gerade Häuptling „Klingende Münze“ – nein, das war jetzt nur ein Scherz, er heißt ganz einfach Billie Cypress – ein neues Verwaltungsgebäude errichten lassen. Voll klimatisiert natürlich. Vier Stockwerke hoch. Mit Mosaiken außen bestückt. Einer Empfangshalle, die jeden deutschen Bürgermeister neidisch werden ließe. Für die Touristen wurde etwas entfernt davon ein Museumsdorf aufgebaut mit Hütten aus Schilfdächern. Fünf Dollar Eintritt. Im dazugehörigen Museum lief ein Informationsfilm. Ein Miccosukee-Indianer erklärt darin seinem Sohn die Welt. Man soll Mutter Erde lieb haben. Und auf die Sprache der Bäume hören. Und mit dem Herzen denken. Und die Vorfahren ehren. Das Übliche.

Ich fühlte mich getäuscht. Arglistig getäuscht. Ich werde mich nach der Rückkehr beim Reiseveranstalter beschweren. Ich hatte arme Indianer bestellt und keine Millionäre. Miccosukee-Bingo-Millionäre. Hätte ich nur diesen Hummer nie gewollt!

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