Streit zwischen Türkei und USA

Amerikanische Truppen stürmen einen türkischen Armeeposten im kurdischen Nordirak. Die Regierung in Ankara fordert die Freilassung der festgenommenen Soldaten. Hintergrund sind die gegensätzlichen Ziele beider Staaten in der Region

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Zu einer dramatischen Verschlechterung der türkisch-amerikanischen Beziehungen hat ein Zwischenfall im Nordirak am vergangenen Freitag geführt. Nach Angaben des türkischen Außenministeriums hat ein Kommando von rund 100 US-Soldaten am Freitagnachmittag ein Gebäude der türkischen Armee in Suleimania gestürmt und dabei zunächst 30 Anwesende verhaftet. Sechs kurdische Mitarbeiter seien später wieder entlassen worden, 24 Personen, darunter elf Offiziere, habe man nach Bagdad gebracht. Nach Angaben aus Kreisen der US-Armee wurde die Razzia in Suleimania durchgeführt, weil das dort stationierte türkische Spezialkommando ein Attentat auf den kurdischen Gouverneur der nahe gelegenen Stadt Kirkuk vorbereitet habe.

Der türkische Außenminister Abdullah Gül wies diese Anschuldigung als völligen Unsinn zurück. Es sei unmöglich, dass die türkische Armee in solche Pläne verwickelt sei. Gül wandte sich umgehend an seinen US-Kollegen Colin Powell und forderte die sofortige Freilassung der türkischen Soldaten. Auch Generalstabschef Hilmi Özkök wandte sich über die Nato-Spitze an US-Generalstabschef Myers und forderte die Regierung in Washington auf, den Vorfall umgehend zu bereinigen. Nach türkischen Angaben haben Powell und Myers dementiert, von der Aktion gewusst zu haben.

Das von den US-Truppen gestürmte Gebäude in Suleimania diente der türkischen Armee und wahrscheinlich auch dem Geheimdienst als Stützpunkt und Verbindungsstelle zur Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die dort ihren Hauptsitz hat. Gül sagte gestern, das Team sei bereits seit sieben Jahren dort stationiert und hätte in der Vergangenheit zwischen den beiden großen Kurdenorganisationen PUK und KDP vermittelt. Die US-Aktion soll in Zusammenarbeit mit PUK-Milizionären erfolgt sein, die für die Rückendeckung der US-Truppen sorgten.

In der Türkei wird die Razzia und Festnahme türkischer Soldaten durch US-Truppen als massiver Affront gewertet. Die Regierungsspitze traf am Samstagnachmittag mit dem Generalstab zusammen, um über mögliche Gegenmaßnahmen zu beraten. Erwogen wurde die Sperrung des Flughafen Incirlik, den die US-Luftwaffe seit Jahren benutzt, und die Sperrung des gesamten türkischen Luftraums für US-Militärflugzeuge. Man einigte sich dann aber darauf, erst noch einmal einen diplomatischen Versuch zu unternehmen. Gestern Nachmittag wollte Ministerpräsident Tayyip Erdogan mit US-Vizepräsidenten Dick Cheney telefonieren.

Hintergrund des Konflikts sind die gegensätzlichen Interessen beider Staaten im Nordirak. Die Türkei will die Entstehung eines kurdischen Staates in der Region verhindern und außerdem die in den Nordirak geflüchteten Guerilleros der kurdischen Arbeiterpartei PKK bekämpfen. Die USA wollen, dass die Türkei sich im Nordirak heraushält, und fordern deshalb den Abzug der seit Jahren im Nordirak stationierten türkischen Truppen.

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