Afrika drängt Bush zum Handeln

Eine Militärintervention der USA in Liberia bedeutete die Rückkehr der Weltmacht auf einen Kontinent, von dem sie sich zehn Jahre lang fern gehalten hat

von DOMINIC JOHNSON
und MICHAEL STRECK

„Seit ich im Amt bin, denken wir an Afrika“, behauptete George W. Bush am Donnerstag vor afrikanischen Journalisten im Weißen Haus. Ab heute kann der US-Präsident seine Gedanken in die Tat umsetzen. Seine erste offizielle Reise nach Afrika führt ihn mitten in einen Entscheidungsnotstand.

Bis Bush morgen in Senegals Hauptstadt Dakar mit sieben westafrikanischen Präsidenten zusammentrifft, muss er eine klare Linie entwickelt haben zu den anschwellenden Forderungen an die USA, militärisch in Liberia einzugreifen. Dort hat sich der seit zwei Jahren tobende Krieg zwischen Präsident Charles Taylor und mehreren Rebellenbewegungen in den letzten Wochen dramatisch zugespitzt.

Westafrikas Regierungen haben ein Interventionsmodell für Liberia: Eine westafrikanische Friedenstruppe von 3.000 Mann, geführt von 2.000 Soldaten aus den USA, eventuell auch aus Marokko und Südafrika, besetzt Monrovia und sichert eine Friedensregelung ab. Ein Einsatz von mindestens 500 US-Soldaten gilt in Washington als beschlossene Sache. „Wenn wir nichts unternehmen, wird Bush ein sehr unangenehmes Treffen in Senegal haben“, sagte ein Außenministeriumsbeamter.

Eine US-Truppenentsendung nach Liberia wäre symbolträchtig. Für Liberia, 1847 von den USA als Siedlernation freigelassener schwarzer Sklaven gegründet, würde es nach Jahren des Staatszerfalls die Perspektive einer Neugründung bedeuten. Und die Hauptstadt Monrovia, benannt nach James Monroe, 1817–1825 US-Präsident, auf den die US-Imperialdoktrin exklusiver Einflusssphären zurückgeht, wäre Schauplatz der militärischen Rückkehr der USA auf einen Kontinent, von dem sie sich zehn Jahre lang fern hielten.

Am 9. Dezember 1992 landeten 1.800 US-Marines in Somalias Hauptstadt Mogadischu – Vorhut einer schließlich 30.000 Mann starken Interventionsarmee zur Sicherung humanitärer Hilfe. Die Truppe, entsandt vom damaligen US-Präsidenten George Bush kurz vor Ende seiner Amtszeit, zog Nachfolger Bill Clinton ein Jahr später wieder ab, nachdem sie in blutige Kämpfe verwickelt worden war. Im schlimmsten Einzelzwischenfall, durch den Spielfilm „Black Hawk Down“ weltweit berühmt gemacht, wurden 18 US-Elitesoldaten von somalischen Milizen getötet, ihre Leichen vor laufender Kamera durch die Straßen geschleift. Das sitzt bis heute tief im Pentagon, wo Militärpläner zudem vor Überforderung warnen: 146.000 US-Soldaten stehen im Irak, 10.000 in Afghanistan, und die Lage in beiden Ländern verschlechtert sich.

Sollte Bush nun grünes Licht für einen Liberia-Einsatz geben, wäre dies eine „180-Grad-Wende“, wie Susan Rice sagt, die ehemalige Afrikabeauftragte Clintons. Ein Grund für die neue Sicht der USA auf Afrika ist, dass der Kontinent bei der Terrorbekämpfung immer stärker ins Blickfeld gerät. Nicht mehr nur Somalia und Sudan gelten als Rückzugsgebiete für al-Qaida, sondern halb Nordafrika. In Dschibuti entstand im Mai die erste ständige US-Militärbasis in Afrika mit 1.800 Soldaten. Für Dschibuti, Äthiopien, Kenia, Tansania und Uganda kündigte Bush Ende Juni ein 100 Millionen Dollar schweres Anti-Terror-Hilfspaket an.

Und in Westafrika sollen mehrere Länder, wie am Samstag die New York Times berichtete, mit US-Militärausbildungsprogrammen oder sogar US-Militärbasen beglückt werden. Bereits vergangenes Jahr erwogen die USA die Einrichtung einer ständigen Militärbasis auf dem Inselstaat Sao Tomé vor der Küste Nigerias. Inzwischen ziehen sie es nach Berichten der französischen Zeitschrift Jeune Afrique vor, bis zu 5.000 Soldaten direkt in Nigeria zu stationieren, um Ölfelder zu sichern.

Die geplante Liberia-Intervention passt in dieses Schema. Bis in die 80er-Jahre hinein war Liberia einer der wichtigsten US-Standorte in Afrika, von dem aus CIA-Aktivitäten quer durch den Kontinent bis nach Libyen und Angola koordiniert wurden. Das endete mit dem 1989 begonnenen Bürgerkrieg, dessen Sieger Charles Taylor heute in US-Kreisen als Geschäftspartner von al-Qaida gewertet wird und vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Sierra Leone mit Haftbefehl belegt worden ist.

Taylors Schicksal ist denn auch das größte Problem bei einer US-Truppenlandung in Liberia. Festnehmen? Dann wären die USA Kriegspartei. Den Haftbefehl ignorieren? Dann stellten sie sich gegen ein UN-Tribunal. Ihn entwischen lassen und später jagen? Das kennt man schon, mit Ussama Bin Laden. Die USA fordern daher Taylors Rücktritt, mit nachfolgendem sicherem Exil in Nigeria als Vorbedingung ihres Eingreifens.

Aber wenn Taylor einfach geht, überlässt er sein Land den Rebellen, die als zu brutal und zerstritten gelten, um regieren zu können. Der Staatszerfall wäre komplett – wie in Somalia 1992. Kein Wunder, dass sich Washington mit der Interventionsentscheidung schwer tut.