Rockmusik, Bierfest, Sprengsatz

Bei seiner Wahl hatte Präsident Putin Ruhe und Ordnung versprochen. Daher wird über den Anschlag und seine 15 Toten nur das Nötigste berichtet

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

„In kleinen Gruppen wurden die Musikfans an einer Vorkontrolle vorbei zum eigentlichen Eingang vorgelassen. Plötzlich gab es an der ersten Kontrolle einen lauten Knall und eine Feuerkugel stieg mehrere Meter hoch“, berichtete ein Augenzeuge des Terroranschlags, der am Samstag in Moskau mindestens 13 Todesopfer und an die 50 zum Teil schwer Verletzte forderte.

Polizei und Sicherheitsdienste haben ein schlimmeres Blutbad verhindern können. Sie stellten die beiden Selbstmordattentäterinnen, noch bevor diese den Innenraum des innerstädtischen Flughafens Tuschino betreten konnten. Dort fand das Rockfestival „Krylia“ statt, zu dem 40.000 Besucher erwartet wurden. Die meisten der Opfer sind daher Jugendliche zwischen 14 und 25 Jahren.

Im Abstand von 15 Minuten waren zwei Bomben direkt neben den Kassenhäuschen explodiert. Eine dritte Bombe, die die meisten Opfer forderte, detonierte auf einem benachbarten Kleidermarkt. Eine der Attentäterinnen hatte den Anschlag zunächst überlebt. Ihr Sprengstoffgürtel war nicht vollständig gezündet worden, weshalb Polizisten sich ihr zunächst auch nicht zu nähern wagten. Jeder der Bombensätze soll eine Sprengkraft von 500 Gramm TNT gehabt haben.

Die Identität der Terroristinnen konnte bisher nicht festgestellt werden. Neben einer Toten fand sich ein Pass, ausgestellt auf den Namen der 20-jährigen Sulichan Elichadschalijewa aus Kurtschaloi. Die tschetschenische Spur ist naheliegend, aber bisher nicht bewiesen.

Da die Behörden mit einer Panik rechneten, wurde das Rockfestival nicht abgebrochen. Einige Jugendliche sollen von dem Blutbad gar nichts bemerkt haben. Dafür sorgten auch die Betreiber von Mobilfunknetzen, die die Verbindungen unterbrachen, damit Eltern ihre Kinder nicht unnötig in Unruhe versetzten, hieß es von offizieller Stelle.

Dennoch fiel auf, wie schnell Moskau wieder zur Tagesordnung überging. Bürgermeister Juri Luschkow bestand darauf, alle Großveranstaltungen wie geplant durchzuführen. So ließ er es sich nicht nehmen, gestern im Stadion Luschniki ein Bierfest zu eröffnen.

Die Betriebsamkeit, mit der die Spuren des Attentats beseitigt werden, scheint verdächtig. Ein halbes Jahr vor den Duma- und acht Monate vor den russischen Präsidentschaftswahlen werden die Bürger durch das Attentat daran erinnert, dass Wladimir Putin seit vier Jahren Krieg führt und dass dieser Krieg auch in Moskau stattfindet. Der Präsident hatte bei seiner Wahl Ruhe und Ordnung vesprochen, stattdessen aber eine vom Krieg traumatisierte Gesellschaft geschaffen.

Die Berichterstattung in den gleichgeschalteten staatlichen TV-Sendern vermittelt den Eindruck, als handele es sich um eine unbeeinflussbare Naturkatastrophe. Den Hintergrund auszuleuchten, wagt in Moskau zurzeit niemand mehr. Nach der Geiselnahme im Musicaltheater Nord-Ost im letzten Herbst war es zu einer Verschärfung des Pressegesetzes gekommen.

Der Vorsitzende der liberalen Partei „Union der Rechtskräfte“ und ehemalige Vizepremier Boris Nemzow gehört zu den wenigen Kritikern der Tschetschenienpolitik des Kremlchefs. Putin hatte am Freitag per Ukas in Tschetschenien Präsidentschaftswahlen auf den 5. Oktober festgesetzt. Wahlen, deren Sieger – Moskaus Statthalter Achmad Kadyrow – schon feststeht, und die neues Blutvergießen nach sich ziehen werden. Der Oppositionelle Nemzow glaubt, der Anschlag sei eine Reaktion auf den Ukas gewesen. Doch die russische Politik schafft genügend Anlässe für solche Gewalttaten.