Hamburger können alles – sogar wählen

Eine große Koalition der Altparteien in Hamburg hält ihre Bürger für dümmer als Badener und Schwaben. Denn im Ländle gibt es bereits seit über 50 Jahren ein demokratisches Wahlrecht: „Wahlen nach Zahlen“ ist gar nicht mal so kompliziert

aus Freiburg Christoph Ruf

Sie fahren mitten durch den Hamburger Hauptbahnhof: Intercitys, bedruckt mit Werbeslogans fremder Länder: „Schön hier! Aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg?“ Auch in den Printmedien zeigen sich die Südländer alles andere als komplexbeladen: Scheidungen und Arbeitslose kenne man eher nicht, dafür aber Patente ohne Ende: „Wir können alles – außer hochdeutsch.“

Mit ihren Kommunalwahlen geben sie in ihren Annoncen zwar nicht an, doch selbst dort reklamieren sie eine Ausnahmestellung: Statt eines Kreuzes können sie eine 1, 2 oder 3 hinter die Kandidatennamen setzen – zu kompliziert, wie in Hamburg die große Koaltion der Altparteien CDU und SPD findet, die den Nordlichtern nicht zutraut zu begreifen, was Südländer seit über 50 Jahren verinnerlicht haben.

Dabei klingt „Panaschieren“ und „Kumulieren“ viel komplizierter als „Wahlen nach Zahlen“, aber in Baden-Württemberg finden offenbar selbst Politologen Arbeit. Das bedeutet aber nur, dass man einzelnen Kandidaten entweder eine, zwei oder drei Stimmen geben kann, und dass die nicht alle auf derselben Liste stehen müssen. Wer seinen Schreiner also für einen geborenen Stadtrat hält und die Physiotherapeutin nur bedingt für kompetent, setzt auf dem CDU-Zettel eine 3 hinter den Schreiner, greift dann zur SPD-Liste, wo er eine 2 hinter den Glaser malt, bevor er der grünen Lehrerin eine glatte 1 verpasst. Nachdem er nun nach allen Regeln der Kunst kumuliert und panaschiert hat, addiert er die Ziffern. Die Höchstzahl der zu vergebenden Stimmen richtet sich nach der Größe der Gemeinde: In einer Kleinstadt mit 32 Gemeinderäten sind 32 Stimmen zu vergeben, im größten Dorf des Landes, Stuttgart, derer 60.

Da man sich unter Zeitdruck schneller verrechnet, bekommen alle ihre Wahlzettel nach Hause geschickt. Und wer keine Lust auf die Rechnerei hat oder einfach keinen Kandidaten kennt, gibt die Liste seiner Lieblingspartei unausgefüllt ab, dann bekommen alle darauf je eine Stimme.

Ganz schön demokratisch ist das alles jedenfalls. Denn nur die kommen letztlich ins Parlament, die die WählerInnen dort auch sehen wollen. Beim Hamburger Listenwahlrecht hingegen bestimmt die Partei die Reihenfolge der Kandidaten, ihre Anhänger könne daran nichts mehr verändern.

Dabei ist das Wahlvolk gar nicht so doof: Im Stuttgarter Innenministerium weiß man, dass seit 50 Jahren immer nur drei bis vier Prozent der Wahlzettel ungültig sind. Das ist zwar doppelt so hoch wie bei Kreuz-Wahlen, bedeutet aber auch, dass 97 Prozent eins und drei zusammenzählen können. Und da auch in Hamburg so mancher das kleine Einmaleins beherrschen dürfte, könnte man es ja mal auf einen Versuch ankommen lassen.

Zumal das auch für den nächsten Werbeslogan taugen könnte: „Hamburg: Wir können alles – sogar wählen.“