Speichel lecken

Imbisse, 2. Teil: Wer ungestört seinen Döner essen möchte, sollte das Gespräch mit Fremden meiden

Ich saß vor dem Imbiss auf einer Bank. Auf dem Teller lag ein Döner, und ich hätte nur zu gern die alte Frau ignoriert, die neben mir stand. Sie war im Stehen kaum größer als ich im Sitzen, was eigentlich eine gute Voraussetzung für eine entspannte Unterhaltung gewesen wäre, wenn ich nicht gerade hätte essen wollen.

Ich hob den Döner an den Mund, und sie fragte, was das sei. „Ein Döner.“ Aha, meinte sie, und ich biss hinein. Was der denn koste, wollte sie wissen. „Zwei Euro.“ Von nun an stellte sie jedes Mal, wenn ich weiter essen wollte eine neue Frage, und mein Essen wurde schön langsam kalt.

„Schmeckt’s?“, fragte sie und spuckte dabei auf meinen Döner. Sie spuckte schon die ganze Zeit sehr stark beim Sprechen, und ich fand heraus, dass sie stets in einem bestimmten Winkel auf den Tisch herunter spuckte, immer genau an die Stelle, wo der Döner lag. Also hielt ich ihn wieder vor den Mund, um ihn vor dem Spuckeregen in Sicherheit zu bringen. Dabei war ich mir durchaus der Körperfeindlichkeit meiner Haltung bewusst, einem typischen Symptom für den nagenden Selbsthass meiner Subgeneration. Warum war mir der Gedanke an die Spucke der fremden alten Frau in meiner Mahlzeit bloß so zuwider – wo es doch in nicht wenigen Gesellschaften als Zeichen höchster Ehrerbietung und Gastfreundschaft gilt, wenn der Hausherr dem hohen Gast die fertig vorverdauten Speisen persönlich in den Schlund würgt.

Die Lamafrau hatte ihren Fragenkatalog abgeschlossen und begann nunmehr einen umfangreichen Monolog. Ich konnte also anfangen zu essen, musste nur ab und zu nicken oder mit vollem Mund „ist ja wunderbar“ sagen. In der Speichelarie ging es im Wesentlichen darum, wo sie immer mit ihrer Tochter essen ging (auch zu einem Türken), was sie dort aßen (Salat) und was das kostete (zwei Euro fünfzig).

Leider bemerkte ich bald, dass sie beim Erzählen einen anderen Speiwinkel bevorzugte als zuvor beim Fragen. Jetzt sprühte sie mir nämlich direkt ins Gesicht und auf den dort am Munde befindlichen Döner, so dass ich gezwungen war, das mittlerweile aufgeweichte Brot immer öfter abzusetzen, um mir so wenigstens die Illusion zu erhalten, ich nähme noch etwas anderes zu mir als ihr Sputum. Endlich war die Frau fertig und wünschte mir noch einen schönen Tag. Dann ging sie, die arme Alte: Bestimmt hatte sie großen Hunger gehabt, aber diesmal war ihr Plan nicht aufgegangen – nicht mit mir.

ULI HANNEMANN