„Nie ein Verkündigungsblatt“

Das Homoszenemagazin „Siegessäule“ feiert dieses Wochenende 20. Geburtstag. Ein Gespräch mit den RedakteurInnen Manuela Kay und Peter Polzer über die Gründe, aus diesem Anlass zu feiern

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

taz: Die Redaktion der Siegessäule residiert seit kurzem in einem schicken Kreuzberger Hinterhof. Zählt das einstige Bewegungsblatt nun zum Establishment?

Manuela Kay: Ach was, wir sind immer noch in einem Kreuzberger Hinterhof. Nur weil wir uns nicht mehr gegenseitig auf dem Schoß sitzen und keine Sperrholzmöbel mehr haben, sind wir noch nicht yuppiesk. Natürlich fühlt man sich besser, wenn jeder seinen eigenen Schreibtisch hat. Das ist doch die Grundlage für produktives Arbeiten.

Peter Polzer: Wir sind ja, wie die taz, in einer Zeit gegründet worden, als Berlin noch Frontstadt war und die alternative Bewegung gerade richtig mächtig zu werden begann. Das alles zählt zur Geschichte des Blattes, aber heute ist heute. Was wir jedenfalls nicht verloren haben, ist unsere tiefe Verwurzelung in unserer Zielgruppe. Aber zutreffend ist inzwischen auch, dass wir Teil in einem wirtschaftlich funktionierenden Verlag sind – und das ist auch für alle, die für die Siegessäule arbeiten, ziemlich beruhigend.

Kay: Die taz wird ja auch nicht mehr in der WG-Küche gemacht. Schwulen- und Lesbenbewegung hat doch nichts mit Mobiliar zu tun – sondern mit Inhalten.

Ist die Siegessäule noch ein so genanntes Bewegungsblatt?

Kay: Im Prinzip ja. Aber uns fehlt so ’n bisschen die Bewegung. Das kann man beklagen. Was wir aber nicht verloren haben, ist unser Anspruch, Denkanstöße zu geben. Nenn es Niveau – auch wenn wir kostenlos sind und uns über Anzeigen finanzieren, wird man nicht erleben, dass wir auf einer Seite über tolle Feuchtigkeitscremes berichten und zwei Seiten weiter die entsprechende Anzeige haben – wie in manchen anderen Blättern.

Polzer: Das ist alles in allem eine Gratwanderung. Unser Anspruch war und ist der nach Unabhängigkeit. Ökonomisch von den Anzeigenkunden. Aber auch von den Homoszenen. Die Siegessäule war nie Verkündigungsblatt. Das ginge schon deshalb nicht, weil unsere Szene zu unterschiedlich ist.

Kay: Wenn man eine Zielgruppe von 300.000 Menschen in Berlin hat, kann man nicht das Sprachrohr von einer bestimmten Richtung sein – würden wir das machen, wäre es mit der Glaubwürdigkeit hin.

Was ist, zum Beispiel, der Unterschied zwischen der linksautonomen Gigi und euch?

Kay: Wir sind Journalisten und die Gigis sind Propagandisten.

Polzer: Wir sind um Ausgewogenheit bemüht. Eine Meinung zu haben ist das eine, das andere ist, Fakten zu sammeln und Informationen zu geben.

Wie hat die Szene verkraftet, dass die Siegessäule seit acht Jahren als schwullesbisches Projekt erscheint?

Polzer: Erstaunlich gut. Es gab kaum Proteste. Aber einige schwule Leser mussten sich schon daran gewöhnen, dass jetzt auch Lesbenthemen im Blatt waren.

Kay: Lesben fanden ja auf dem Medienmarkt sonst überhaupt nicht statt. Und eine Lesbenseite einfach zu drucken, das wollten wir auch nicht – so als Alibi.

Polzer: Die schwulen Jungs haben sich natürlich aufgeregt, als vor acht Jahren zur Ausstellung „100 Jahre Schwulenbewegung“ auf dem Cover eine nackte Frau abgebildet war.

Kay: Da sind die ganz schön hysterisch geworden. Die haben viel mehr gekreischt, als Lesben das tun oder getan haben, wenn ihnen die vielen Sex- und Erotikannoncen auf die Nerven gehen, die vielen Schwänze und Ärsche.

Zu viel Schwules?

Polzer: Nee, das sehe ich so nicht. Wir machen nicht zu viel Schwules, sondern eher zu wenig Lesbisches.

Kay: Aber wo bei Lesben weniger stattfindet als bei Schwulen, kann man nichts hinzuerfinden. Lesbisches ist nicht so präsent wie Schwules. Das mit den Anzeigen ist eben so: Sex sells. Wir können ja den Anzeigenkunden nicht vorschreiben, dass sie ihre Models nur angezogen als Annonce schalten.