Der ewige Zweite mit eisernem Hintern

Der verstorbene Fiat-Chef Umberto Agnelli übernahm trotz bisheriger Erfolge erst letztes Jahr die Konzernleitung

Ein Mann im Schatten war Umberto Agnelli zeit seines Lebens – im Schatten des großen Bruders. 13 Jahre trennten den Erstgeborenen Gianni und das Nesthäkchen Umberto in der kinderreichen Familie von sieben Geschwistern. Mister Fiat war und blieb für die Öffentlichkeit immer nur der eine: Gianni, der „Avvocato“, der vom Großvater und Firmengründer als Kronprinz ausersehen worden war. Umberto dagegen blieb, bis zum Tod Gianni Agnellis vor einem Jahr, immer nur der „kleine Bruder“.

Dabei hatte er, anders als Gianni, seine jungen Jahre nicht mit Jetset-Kapriolen vertan, sondern sich gleich in Management-Aufgaben gestürzt. Mit nur 22 Jahren wurde er Präsident des Agnelli-Clubs Juventus Turin und bereits mit 25 zum Präsidenten des italienischen Fußballverbands gewählt. 1962 war er schon Präsident der Versicherungsgesellschaft SAI, und von 1964 an zeigt er Saniererfähigkeiten an der Spitze von Fiat France.

Als dann 1966 Gianni Agnelli das Ruder bei Fiat übernimmt, scheint auch für Umberto endlich die Stunde geschlagen zu haben. Er kümmert sich zunächst um die internationalen Aktivitäten des Konzerns, bis er 1970 – neben dem Präsidenten Gianni – zum Vorstandsvorsitzenden aufrückt; im Tandem leiten die Brüder nun die Firma.

Doch die erste große Fiat-Krise in den Siebzigern bringt das schnelle Aus für Umberto. Der hoch verschuldete Konzern hängt am Tropf der Banken – und der mächtigste Banker Italiens, Enrico Cuccia, will einen Mann seines Vertrauens neben Gianni Agnelli sehen. Damit ist Umbertos Fiat-Karriere vorbei. Immer wieder tut Gianni ihm in den folgenden Jahrzehnten den Gefallen, ihn zu seinem designierten Nachfolger zu erklären, doch die Entwicklung geht derweil konsequent in die entgegengesetzte Richtung: 1998 scheidet Umberto Agnelli endgültig aus allen Fiat-Gremien aus.

Stattdessen kümmert er sich um die Familienfinanzen der Agnelli-Privatholdings. Da zeigt er erneut seine Managementfähigkeiten. Und da wird er in den letzten Jahren immer stärker zum Verfechter der Abkehr der Agnellis vom Autobau, predigt die Wende zum Mischkonzern mit weit gefächerten Interessen von Banken und Versicherungen bis hin zur Stromerzeugung.

Doch dann stirbt Gianni im Januar 2003, ausgerechnet im Moment der tiefsten Fiat-Krise: Vor allem die Autoproduktion produziert Milliardenverluste. Nun ist der ewige Zweite plötzlich an der Reihe und rückt an die Spitze des Konzerns. Und nun predigt er auf einmal die Philosophie der „Konzentration aufs Kerngeschäft“.

Im letzten und einzigen Jahr seines Wirkens als Fiat-Sanierer hat Umberto Agnelli Erfolge. Ob sie reichen, den Konzern in den Händen der Familie zu halten und die im nächsten Jahr vertraglich drohende Übernahme durch die Banken zu verhindern, steht dahin. Doch auch bei einer Übernahme hätte Umberto wenigstens ein bisschen Geschichte geschrieben: als letzter Agnelli an Fiats Spitze. MICHAEL BRAUN