Neusprech beim Müll

Unternehmen lassen immer weniger Gewerbemüll von der Stadtreinigung entsorgen. Der Abfall wird umdeklariert und billig anderswo „verwertet“

Teure Müllöfen konkurrieren mit der Schlicht-Verbrennung in Zementwerken

von GERNOT KNÖDLER

Die Hamburger Wirtschaft wird bald keinen Müll mehr produzieren, der nicht verwertet werden könnte. Diese Prognose legt eine Statistik der Stadtreinigung (SRH) nahe, nach der sich der von ihr zu beseitigende Müll seit 1994 auf ein Zwanzigstel verringert hat, Tendenz fallend. Das wundersame Verschwinden des Restmülls klingt märchenhaft positiv, legt aber den Verdacht nahe, dass ein Teil des Mülls umdeklariert und auf schwer nachvollziehbaren Wegen billig entsorgt wird. „An der Natur der Abfälle hat sich nichts geändert“, sagt SRH-Sprecher Reinhard Fiedler, „sie heißen nur anders.“

1994, als die Unternehmen noch gezwungen waren, ihren Restmüll der Stadtreinigung anzudienen, entsorgte diese 212.000 Tonnen, die in Containern (so genannten Wechselbehältern) gesammelt und abgeholt wurden. Sechs Jahre später – inzwischen waren diverse private Entsorgungsfirmen für die Wirtschaft gegründet worden – waren es nur noch 33.000 Tonnen. Für 2003 rechnet die Stadtreinigung mit 10.000 Tonnen.

Damit hat die Verwertung von Gewerbeabfall eine Reihe von Prognosen übertroffen. Bei der Etablierung eines Entsorgungsverbandes für den Handel 1998 rechnete der Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Groß- und Außenhandel, Raven Karalus, damit, dass die Unternehmen ihr Müllaufkomen „um bis zu 30 Prozent“ würden senken können. Und noch im „Abfallwirtschaftsplan Gewerbeabfälle 2001“ vermutete die Umweltbehörde, „dass sich der Gewerbeabfall aus der Wechselbehälterabfuhr in 2006 auf eine Jahresmenge von rund 20.000 Tonnen reduziert“.

Was auf den ersten Blick wie ein großartiger Erfolg der Abfallwirtschaftspolitik aussieht, klingt im Jahresbericht der Stadtreinigung für 2002 nach einem Etikettenschwindel: „Gewerbeabfälle in Wechselbehältern werden von der weit überwiegenden Zahl der Kunden als Abfälle zur Verwertung deklariert und über die SRH zu nicht kostendeckenden Preisen einer Verwertung zugeführt.“

Das Umdeklarieren gibt den Firmen die Möglichkeit, zwischen unterschiedlichen Entsorgern zu wählen. Die Müllöfen der Stadtreinigung mit ihrer ausgefeilten Filtertechnik konkurrieren in der „thermischen Verwertung“ mit der Müllverbrennung in Stahl- oder Zementwerken, für die weit weniger strenge Auflagen gelten. Mancher Müll landet auch auf Billigdeponien, die versuchen, um jeden Preis ein Geschäft zu machen. Um mitbieten zu können und ihre teuren Müllverbrennungsanlagen auszulasten, sieht sich die Stadtreinigung gezwungen, Dumpingpreise zu offerieren.

Zwar schreiben das Kreislaufwirtschaftsgesetz und die Gewerbeabfallverordnung vor, welche Stoffe (Papier, Glas, Metall und andere) aussortiert und verwertet werden müssen und welche Stoffe nicht „energetisch verwertet“ werden dürfen. Ob diese Vorschriften eingehalten werden, wird nur im Rahmen allgemeiner Betriebsprüfungen kontrolliert.

Dennoch setzt die Umweltbehörde in ihrem Abfallwirtschaftsplan darauf, dass zusätzliche Verordnungen die „so genannte ‚Scheinverwertung‘, d.h. die Grobsortierung von Gewerbeabfall mit angebundener Billigdeponierung“ beenden. Schluss ist damit spätestens 2005, wenn die Genehmigungen der Billigdeponien auslaufen.

Umweltbehörde und Stadtreinigung hoffen, dass sie dann endlich für die vielfach gescholtene Politik des damaligen Umweltsenators Fritz Vahrenholt (SPD) belohnt werden. Vahrenholt hatte den Bau von Müllverbrennungsanlagen (MVA) mit solcher Vehemenz verfochten, dass er sich den Spitznamen „Feuer-Fritze“ einhandelte. Erwartet die Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (Laga) 2005 bundesweit eine Fehlkapazität bei der Müllverbrennung zwischen zwei und 6,8 Millionen Tonnen, dürfen sich die Hamburger entspannt zurücklehnen. „Mit mehr als einer Million Tonnen Verbrennungskapazität in vier MVAs verfügt die Stadtreinigung Hamburg bereits heute über ausreichend Behandlungskapazität und kann daher die notwendige Entsorgungssicherheit für Hamburg auch nach 2005 garantieren“, verspricht die SRH.