Job da, Kita da, Gutschein fehlt

Mütter fürchten um ihren Wiedereinstieg in den Beruf. Niendorfer Krippe bleibt zur Hälfte leer, weil die Gutscheine fehlen. Bildungsbehörde stellt Rotes Info-Telefon ab. FamilienPower fordert, das neue Vergabe-System sofort zu stoppen

von KAIJA KUTTER

Alle 3976 Kinder auf der Warteliste für einen Krippen- oder Elementarganztagsplatz bekommen bis zum 1. August keinen Kita-Gutschein. Das gestand die Bildungsbehörde vergangene Woche ein, nachdem sie 14 Tage zuvor noch das Gegenteil verkündet hatte. Hinter dieser Zahl stehen Hamburger Familien, deren Lebensplanung nun über den Haufen geworfen wird.

Dass sie nach drei Jahren Elternzeit wieder als Bauzeichnerin arbeiten will, war für Claudia Werner (32) aus Niendorf immer klar. Sie liebt ihren Job und will auch was für ihre Rente tun. Eine Woche nach der Geburt von Florian im November 2000 ging sie zur Kita gegenüber ihres Wohnblocks und setzte ihn bei den „Moor-Rüben“ auf die Liste. „Einmal im Jahr sind wir hin und haben bekräftigt, dass wir den Platz zum 3. Geburtstag wollen“, berichtet sie. „Nach dem alten System hätten wir den bekommen.“

Aber nicht nach dem neuen System. Frühestmöglich im Januar beantragte Frau Werner den Kita-Gutschein, hörte dann monatelang nichts, lief mehrfach beim Anrufbeantworter im Kita-Sachgebiet des Bezirks auf und traf dort in der Sprechstunde schließlich eine hilflose Sachbearbeiterin an. Werner: „Es hieß immer, der Wartelistensuchlauf verzögert sich. Dass ich keinen Gutschein bekomme, habe ich aus der Zeitung erfahren.“

Tina Hasselmann (31) ist allein erziehend und lebt von Sozialhilfe. Deshalb hat sie ihre Erziehungspause auf zwei Jahre begrenzt. Am 11. August muss sie ihren Job als kaufmännische Angestellte wieder antreten, sonst ist sie ihn los. Für ihre kleine Tochter Piper hat sie sich deshalb längst einen Krippenplatz in der Kita-Försterweg besorgt. Was fehlt, ist der Gutschein.

Auch Andrea Drust (40) wartet dringend auf den Gutschein. Sie hat fünf Kinder und ist allein erziehend. Im alten Kita-System hätte ihr Fall absolute Priorität. Sie möchte nicht länger vom Unterhalt ihres Ex-Mannes leben und deshalb ab November eine Umschulung zur Altenpflegerin machen. Die älteren Töchter sind in der Schule versorgt, für ihren Jüngsten, den anderthalbjährigen Naim-Che, stünde ab August ein Krippenplatz in der Moor-Rüben-Kita bereit.

„Mütter wollen arbeiten. Hier in Niendorf gibt es einen großen Bedarf an Krippenplätzen“, berichtet Kita-Leiterin Christiane Kuehn-Scholze. Deshalb eröffnet sie eine neue Gruppe für Null- bis Dreijährige. 16 Kinder sind bereits angemeldet. Doch ohne Scheine bleibt die Krippe halb leer.

„Das Gutschein-System ist ineffizient und es ist elternfeindlich“, kritisiert Matthias Taube vom Verein FamilienPower. Das frühere System habe funktioniert, bisher hätten Eltern, Kita-Leitung und Sachbearbeiter im erfolgreichen Zusammenspiel dafür gesorgt, dass ein Kind auf den geeigneten Platz kommt. Künftig würde dies vereitelt, weil das „chaotische“ Gutscheinsystem bürokratische Hürden einbaue. Taube fordert, dieses per Dienstanweisung zu stoppen und den Eltern die Plätze nach dem alten Verfahren zu geben.

Laut Behördensprecher Hendrik Lange ist eine Systemrückkehr nicht möglich. Er kann aber nicht sagen, wie viele Eltern im Herbst oder zum Jahreswechsel einen Schein bekommen. Persönliche Nachfragen am eigens eingerichteten „Roten Telefon“ sind auch nicht mehr möglich. Dieses wurde gestern abgestellt.