„Die Asse muss geschlossen werden“

Ein Einsturz der Kammer 4 hat keine direkt absehbaren Folgen für die Statik des Pannen-Endlagers. Entsorgungsexperte Kreusch mahnt dennoch vor dem Worst Case – und nimmt das Bundesamt in Schutz

taz: Herr Kreusch, eine mit 6.000 Atommüllfässern gefüllte Kammer im Endlager Asse ist akut einsturzgefährdet. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Jürgen Kreusch: Ein wenig schon. Die betroffene Kammer 4 liegt im Bereich der Südwestflanke, die gebirgsmechanisch ohnehin in einem äußerst prekärem Zustand ist: Es gibt hier zu viele Hohlräume, das beeinflusst die Tragfähigkeit der Grube negativ. Wenn die Decke einstürzen würde, ist mindestens damit zu rechnen, dass Radionuklide über die Abluft nach außen dringen.

Bislang gehen Untersuchungen davon aus, dass die Standfestigkeit der Asse bis 2014 gewährleistet ist. Was bedeutet die Instabilität einer Kammer für die Statik des gesamten Bergwerks?

Das ist schwer zu sagen. Allerdings ist das Datum 2014 nur ein Richtwert. Das Gutachten des Instituts für Gebirgsmechanik spricht von einem langsam voranschreitenden Entfestigungsprozess des Salzgebirges in einem Teil der Asse. Dieser Prozess könnte stark zunehmen – aber keiner weiß wann. Die Gebirgsbewegungen könnten zudem den Zufluss von Laugen, derzeit sind es 12.000 Liter am Tag, drastisch erhöhen – und unbeherrschbar machen. Das ist der Worst Case. Diese Zuflüsse könnten die Kalisalze im Bergwerk langsam auflösen, alles würde noch instabiler. Darum muss die Asse geschlossen werden.

Sie sind Mitglied der AG Optionenvergleich (AGO), die derzeit verschiedene Möglichkeiten der Schließung untersucht. Wie ist der Stand der Dinge?

Eine Empfehlung der AGO wird erst in etwa einem Jahr vorliegen. Bislang kann ich so viel sagen: Die vom alten Asse-Betreiber favorisierte Lösung der Flutung mit einem Schutzfluid halten wir für wenig geeignet. Mit dem Fluid würde das Transportmittel für Radionuklide in die Grube eingebracht. Wir prüfen derzeit mehrere weitere Möglichkeiten. So, die Atommüllfässer in größeren Tiefen in neu gebohrten Kavernen endzulagern. Oder die Verfüllung der Asse mit Sorelbeton sowie die teil- oder vollständige Rückholung des Mülls.

Anwohner und Initiativen fordern, dass der Atommüll aus der Asse heraussoll.

Technisch ist die Rückholung aller Fässer möglich. Ob sie sinnvoll ist, muss geprüft werden. Die Rückholung birgt auch Risiken für die, die den Müll aus der Asse transportieren müssten. Die Fässer müssten umverpackt und oberirdisch zwischengelagert werden. Und: Wo soll der Asse-Müll hin? Es ist fraglich, ob er überhaupt im Endlager Schacht Konrad eingelagert werden darf.

Niedersachsens Umweltminister Sander wirft dem neuen Asse-Betreiber mangelnde Transparenz vor. Hat das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) Informationen bei der Kammer 4 unterschlagen?

Nein. In der Asse-Begleitgruppe hat das BfS am vergangenen Dienstag über die Situation offen aufgeklärt, ich war dabei. Man müsste eher Herrn Sander daran erinnern, dass er sich als Aufseher über die Aktivitäten des Landesbergamts in der Asse nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat.

INTERVIEW: KAI SCHÖNEBERG

Fotohinweis:JÜRGEN KREUSCH, 56, arbeitet als Geologe bei einer Umweltberatungsfirma in Hannover. Der Entsorgungsexperte berät zudem in der AGO den Landkreis Wolfenbüttel zur Asse.