berliner szenen Eine Woche Abendschau

Es hat geregnet

Um 19.30 Uhr tritt ein junger Moderator mit sehr breiten Schultern in die Kulisse und fängt an. Es geht um Hillary Clinton. Sie war in Berlin an diesem Wochenende und sie hat ihr Buch signiert in einem großen Kaufhaus. Der Moderator der „Abendschau“ muss diese Gelegenheit nutzen. Eine prominente Person hat die Stadt besucht und das ist etwas, das er erzählen kann in sein Mikrofon. Die Kameraleute sind auch froh über die Nachricht. Sie zeigen lange Schlangen von Berlinern, die vor dem Kaufhaus im Regen stehen und auf Hillary Clinton warten.

Mehr ist an diesem Wochenende nicht passiert in der Stadt. Es hat geregnet, das ist alles. Der Moderator redet weiter, die „Abendschau“ dauert eine halbe Stunde. Der Moderator muss seine Sendung voll kriegen und er erzählt jetzt die Sachen, die übrig sind auf seiner Liste. Im Heizkraftwerk Mitte gab es ein Sommerfest. Im Kulturforum gegenüber der Philharmonie wird eine mittelalterliche Handschriftensammlung ausgestellt. Eine Hochzeit endete mit einer Messerstecherei, ein Verkehrsunfall hat sich ereignet. In Marzahn ist ein Motorradfahrer tödlich verunglückt. In Neukölln gab es einen Betrunkenen, der einen Koffer anzünden wollte. Der Betrunkene hat gesagt, im Koffer sei eine Bombe. Der Betrunkene hat gelogen. Die Kamera zeigt eine leere Straßenkreuzung in Neukölln.

Als der Abspann der „Abendschau“ um 19.59 Uhr durch das Bild läuft, dreht sich der Moderator mit den breiten Schultern zu seinem Kollegen. Er redet jetzt zu ihm. Man kann nicht hören, was er sagt. Aber der Moderator macht ausholende Gesten und es sieht so aus, als handele es sich um ein interessantes Gespräch unter besonders kontrollierten Bedingungen. KIRSTEN KÜPPERS