der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR
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… hat jetzt schon sein Jahressoll an Paraden und Massenaufläufen erfüllt. CSD allüberall, mit neuen Rekorden: 35 Teilnehmer in Kalkutta, 400 in Zagreb, in Oldenburg 25.000, 300.000 in Rio de Janeiro und 600.000 in Berlin. Eine erfolgreiche Veranstaltung, ohne Zweifel, vor allem für die Kassen der diversen Gay-Vermarkter. 90.000 Besucher aus dem Ausland sollen allein zum CSD in die Hauptstadt gekommen sein und dabei 60 Millionen Euro hinterlassen haben. Das „Pride Shopping Weekend“ half dabei und sicher auch die „PayGayCard“ der Berliner Bank.

Die Homos sind angekommen – in der Mitte der Gesellschaft, so will es die Parole der Integrationisten – und in den Läden links und rechts der Parade. Jedes kritische Wort zu dieser Entwicklung wird abgestraft, wenn es sein muss mit der gröbsten erprobten Waffe, der sexuellen Denunziation. „Man politisierte im Homozentrum, suchte den Sex aber in den Darkrooms“, hieß es in der vergangenen Woche just im Berlin-Teil dieser Zeitung, um jene antiquierten Polit-Schwulen zu diskreditieren, die heute noch das eine oder andere Wort erheben gegen den grassierenden Gay-Kommerz. Dabei lässt sich dagegen doch wirklich nichts mehr einwenden. „Sie sind Trendsetter, schließen Ehen und zeigen der Welt, wie attraktiv und liberal Berlin ist“, lobt Gerd Nowakowski im Tagesspiegel die zeitgemäße Homolette. Außerdem lässt sich einiges abgucken von denen, meint das Berliner Stadtmagazin Zitty, zum Beispiel „die schnelle, anonyme Triebabfuhr“. Denn: „Von Schwulen lernen heißt offensiv mit der Sexualität umgehen lernen.“ Schöner formuliert: „Eine Schlampe mit Herz hat nie Sex ohne Liebe.“

Dazu passt die neueste Nachricht von der Trend-Front: „Der Homo-Lebensstil ist zurzeit das große Ding in der Party- und Showkultur“, schreiben die, die es wissen müssen von Prinz, und widmen dem „neuen Gay-Glamour“ gleich eine geile Titelgeschichte. Mit allen Namen von jenen, die mit dem „Gay-Image“ Kohle machen, ohne wirklich – dem Pop-Gott sei Dank! – lesbisch oder schwul zu sein: Robbie Williams, Tatu, Justin Timberlake, David Beckham. Wie der Trend in der Praxis funktioniert, auch darüber weiß Prinz Bescheid und gibt die angesagten Ausgehtipps. „6o % Hetero, 40 % Homo“ sei beispielsweise der Gäste-Mix in der alten neuen Berliner Diskothek „Big Eden“: „Und nach ein wenig Alkoholmissbrauch hat sich dort schon so mancher Heteroproll mit einer süßen Schwuppe vom Acker gemacht, um seiner homosexuellen Seite zu frönen.“

Bei so viel schwulem Trendbewusstsein darf die gleichgeschlechtliche Marktanalyse nicht fehlen. Wie die von von zwei besonders chicen Homo-Exemplaren, abgehört bei einem überteuerten Glas Wasser auf der Terrasse des Schöneberger „Café Berio“. „Die ganzen Marken, wie Prada oder Habitat, die den Zeitgeist der Neunziger widerspiegelten, gehen den Bach runter“, flötet die eine. „Die demokratische Mittelschicht ist völlig weggebrochen!“, analysiert messerscharf die andere. Man kann nur lernen von den Schwulen.