HONGKONG: BÜRGER SETZEN SICH GEGEN DEN REGIERUNGSCHEF DURCH
: Arroganz als Glücksfall

Für die Bürgerrechtler und Demokraten in Hongkong erweist sich der von Peking eingesetzte Regierungschef Tung als Glücksfall. Mit seiner Arroganz hat er es sich inzwischen auch bei jenen Untertanen gründlich verscherzt, die sich bislang nie politisch engagieren wollten. Die meisten der 500.000 Demonstranten wären wohl letzte Woche nicht auf die Straße gegangen, um gegen das geplante Sicherheitsgesetz zu protestieren, wenn Tung nicht so viele Fehler gemacht hätte.

Mitten in der Wirtschaftskrise kürzte er die Sozialausgaben, blieb aber zugleich den steinreichen Wirtschaftsführern der Metropole gefällig. Als die Lungenkrankheit Sars in der Stadt wütete, reagierte er spät. Da gaben sich selbst seine politischen Chefs in Peking stilsicherer, als sie sich in Quarantänestationen und Krankenhäusern fotografieren ließen. Sie haben falsch kalkuliert, als sie den Reeder Tung 1997 in die Regierung der Exkolonie hievten, weil sie glaubten, dass ein eingesessener Geschäftsmann die beste Garantie für einen reibungslosen Betrieb sein würde.

Jetzt sind die Organisatoren der großen Demonstration vom vergangenen Dienstag selbst von ihrem Erfolg überrascht. Weil sie glaubten, das Sicherheitsgesetz nicht mehr kippen zu können, hatten sie die Proteste schon unter ein doppeltes Motto gestellt und zusätzlich das Wahlrecht gefordert. Mit der Entscheidung Tungs, das Gesetz auf Eis zu legen, haben sie Aufwind erhalten. Plötzlich scheint auch der Wunsch nach mehr Demokratie und dem Recht, die eigenen Führer bestimmen zu können, für die Mehrheit der Hongkonger keine abstrakte Sache mehr.

Bei der Regierung in Peking müssen jetzt die Alarmglocken schrillen, weil das Beispiel auch auf dem Festland Schule machen könnte. Dabei hat sie allerdings mächtige Verbündete – Missgunst und Desinteresse. Denn vielen Chinesen auch in den prosperierenden Regionen der Volksrepublik erscheinen die Probleme Hongkongs doch eher als Leiden auf hohem Niveau. Ihren ungewöhnlichen Erfolg genießen die Demonstranten von Hongkong jetzt erst einmal allein. JUTTA LIETSCH