„Gleichstellung nicht von heute auf morgen“

Gleichberechtigung statt Fürsorge als langfristiges Ziel: Die ehemalige SPD-Bundesabgeordnete Regina Schmidt-Zadel tritt heute ihr Ehrenamt als Nordrhein-Westfalens Behindertenbeauftragte an – und steht bereits in der Kritik

taz: Frau Schmidt-Zadel, können nicht nur Behinderte selbst Behinderte vertreten?

Regina Schmidt-Zadel: Das ist eine Forderung, die ich nachvollziehen kann. Viele Behindertenvertreter glauben, dass ich mich in ihre Situation nicht reinfühlen kann. Ich bin aber der Meinung, dass ich in meinen vielseitigen Aufgaben bewiesen habe, dass ich dazu in der Lage bin. Ich werde darauf achten, dass meinem Team auch behinderte Menschen angehören.

Der NRW-Ableger des Sozialverbands Deutschland hat kritisiert, das neue Gleichstellungsgesetz erschöpfe sich weitgehend im Symbolischen.

Das finde ich überhaupt nicht. Es sind konkrete Dinge festgeschrieben worden und die Kritik verwundert mich, wo doch der Sozialverband im Landesbehindertenrat an dem Gesetz stark mitgewirkt hat...

...Es ging da unter anderem um Zielvereinbarungen, die Kommunen und Behindertenverbände in Zukunft treffen sollen. Der Verband hätte sich da konkretere Vorgaben gewünscht.

Natürlich können die Forderungen nicht von heute auf morgen umgesetzt werden, das war von Anfang an klar. Aber die Kommunen sind gerade in finanziell schwierigen Situationen gefordert, über neue Wege nachzudenken.

Was könnte das sein?

Kommunen können mit dem Konzept des betreuten Wohnens Geld sparen und dieses in einem anderen Bereich einsetzen.

Barrierefreiheit heißt das Zauberwort in der Gleichstellung von Behinderten. Wie kann sie auch in der Privatwirtschaft erreicht werden?

Wir müssen politischen Druck ausüben, das ist auch im Gesetz festgehalten. Im Baugesetz muss implementiert werden, dass Neubauten barrierefrei gestaltet werden müssen. Das hilft ja nicht nur Behinderten, sondern auch alten Menschen und Familien mit kleinen Kindern. Da sind in der Vergangenheit viele Fehler begangen worden.

Die Bahn bekommt Landesgelder, verschleppt aber den Bau von Rampen und Fahrstühlen an vielen ihrer Bahnhöfe.

Auf dem Bahnhof meines Wohnorts Ratingen ist es genauso. Aus meiner Sicht hätte man schon lange etwas tun müssen, Sie haben völlig recht. Ich denke aber, dass ich der Bahn in meiner Funktion auch Druck machen kann.

Sie sollen über das Gleichstellungsgesetz wachen, haben aber keine Vetofunktion.

Leider nein. Ich kann kein Gesetz anhalten, kann nur gehört werden. Doch ich freue mich trotzdem über das Amt. In den letzten Jahren hat in der Behindertenpolitik ein Paradigmenwechsel stattgefunden: von der Fürsorge zur gleichberechtigten Teilnahme.

Was wollen Sie als Erstes anpacken?

Erst möchte ich mir die Sorgen und Nöte der Behinderten anhören. Dazu werde ich feste Sprechstunden einrichten, per Internet erreichbar sein. Dann werde ich den Landesbehindertenrat einberufen und mich regelmäßig mit Behindertenbeauftragten auf kommunaler Ebene treffen. Sehr am Herzen liegt mir auch die Gleichstellung von behinderten Frauen mit ihren spezifischen Problemen.

INTERVIEW: NATALIE WIESMANN