Bier auf Ex mit Schlachterschürze

Das Jazzfestival in Moers wird immer mehr zum einem Drahtseilakt zwischen Musikveranstaltung und Jahrmarkt. Dennoch ist es überaus erfolgreich. Die ersten drei Tage waren ausverkauft

AUS MOERS PETER ORTMANN

Ein Schloss mitten in Moers. Vogelzwitschern und brennende Sonne. Keine Musik, aber schnieke Liegen auf der Wiese. Die Ruhezone für gestresste Jazzfestival-Besucher neben dem Theater im Schloßpark ist kurz nach dem Samstagmittag leer, Intendant Ulrich Greb wirbt für seine Samstagabend-Veranstaltung. Ein paar Schritte weiter wehen die ersten Töne durch die Bäume, werden lauter, die kreuzenden Wege füllen sich mit Menschen, die alle dem Festzelt entgegenwandern, mit klirrenden Bierkästen als Handgepäck.

Das Areal im Park gleicht einer Kirmes ohne Riesenrad. Von Jahr zu Jahr endloser reihen sich Fressbuden, Bierstände und Verkaufsstände um den kleinen See, in dem das Pfandgeld der leeren Flaschen schwimmt. Aus dem eingezäunten, bunten Zirkuszelt dröhnen kurze Fetzen eines Saxophons, etwas Schlagzeug – es ist Umbaupause. Über 100.00 Besucher hat das Festival auch in diesem Jahr wieder angezogen, viele campen die vier Tage idyllisch unter Bäumen, nicht alle haben Karten. Dann tritt die charismatische Sainkho Namtchylak auf. Sie kommt aus dem sibirischen Tuva, beherrscht den Obertongesang ihrer Heimat, der ursprünglich eine männliche Domäne war. Das Zelt füllt sich schlagartig. Ein Schlagzeug, ein Saxophon, ein Laptop und die Stimme Sainkos. Sie ist der der Star an diesem Tag.

Am Sonntag ziehen Wolken auf. Auch innerhalb des Festivals. Jazz-Master Burhardt Hennen, seit 1972 dabei, taucht beim offizellen Empfang nur kurz mit Mundschutz auf und signalisiert Ärger mit der Stadt. Keiner seiner zahlreichen Helfer war geladen worden, dafür viele, die in der Stadt Rang und Namen haben wollen. Auch hätten die Stadtväter verlangt, dass Hennen sprachlos bleibt, damit er keine Kritik üben könne. Mit einer Stimme Mehrheit im Rat der Stadt wurde sein Vertrag in diesem Jahr noch einmal verlängert, vielleicht zum letzten Mal. Dabei war das Jazzfestival wieder ausgesprochen erfolgreich. 26.000 Karten wurden verkauft. „Ein Zuwachs von über zehn Prozent“, sagt Hennen auch ein bisschen stolz. Die ersten drei Tage seien komplett ausverkauft gewesen. Musikalisch gesehen war Sonntag der Höhepunkt. Die gehörlose Percussionistin Evelyn Glennie bringt mit dem Gitarristen Fred Frith bereits am frühen Nachmittag das Zelt zum Beben. Ned Rothenbergs Double Band und Ragin, Kessler und Drake aus den Staaten werden anschließend begeistert gefeiert. Abends folgt dann der Knaller. Der britische 150 Kilo-Koloss David Thomas tritt mit seinem Melodeon in einer roten Schlachterschürze auf. Seine Show mit den Reflections in the Mirrorman zerreißt fast das Zelt. Nach sechs Dosenbier auf ex und zahlreichen Flachmännern wankt Thomas glücklich von der Bühne in die Nacht.

Am verregneten Montag gibt es noch eine Hommage an Frank Zappa mit Colin Town & der NDR Bigband und abends die Brotherhood of Brass mit Frank London‘s Klezmer Brass All Stars und dem Boban Markovic‘ Orkestar. Nicht wetterfeste Hippi-Marktstände sind da vielleicht schon im Rhein geschwommen.