Absolute Sicherheit gibt es nicht

Warum das Konzept der Feuerbergstraße nicht funktioniert und die Politik in der Falle sitzt, erklärt Jugendhilferechtsexperte Christian Bernzen. Nicht die Haft, sondern Hilfe müsse im Vordergrund stehen, und die Jugendlichen müssten gerne in dem geschlossenen Heim leben

Mehrere Raubüberfälle jugendlicher Täter haben die Diskussion über den Sinn oder Unsinn des Wegsperrens solcher Jugendlicher wieder aufleben lassen. Zuletzt hatte ein 15-Jähriger bei einem Banden-Überfall auf ein spanisches Lokal in Farmsen-Berne einen Kellner niedergestochen und lebensgefährlich verletzt. Er hatte im vergangenen Frühjahr einige Wochen in dem geschlossenen Heim in der Feuerbergstraße verbracht, war dann aber entlassen worden. Während Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) dafür plädierte, jugendliche Täter früher und konsequenter in das geschlossene Heim einzuweisen, erklärte die GAL-Jugendpolitikerin Christiane Blömeke das Modell Feuerbergstraße für gescheitert. Die Bilanz des Heims zeige, dass es fast keine erzieherische Wirkung habe. Die taz hamburg sprach mit dem SPD-Jugendpolitiker Christian Bernzen darüber, wie solchen schwierigen Jungen zu helfen wäre.

taz: Sozialsenatorin Schnieber-Jastram hat anlässlich eines Raubüberfalls durch einen 15-Jährigen noch mehr Strenge und Härte im Umgang mit straffälligen Kindern gefordert. Was sagt der einstige SPD-Schattensenator dazu?

Christian Bernzen: Ich sehe dies als Hinweis auf eine große Ratlosigkeit. Manche wünschen etwas, was eine eine Präventivhaft für diese Kinder ist. Die Gefährlichen sollen weg. Aber Haft gibt es in Deutschland nun mal nicht vor, sondern nur nach einer Tat. Aus gutem Grund. Die Politik leistet ein Versprechen, das uneinlösbar ist. Was sie machen könnten, ist frühzeitig Hilfen zur Erziehung anzubieten. Aber dort wird der Zugang eingeschränkt.

Was wird denn bei den Hilfen zur Erziehung gekürzt?

Alle Träger sollen ab Sommer mit so genannten regionalen Versorgungsverträgen und einem begrenzten Budget arbeiten. Das wird dazu führen, dass Kinder und ihre Familien unversorgt bleiben.

Der Junge, der die Körperverletzung beging, war schon kriminell gewesen. Hätte man nicht früher reagieren müssen?

Da stellt sich die Frage, was war als juristische Reaktion auf diese Taten erforderlich. Unser Strafrechtssystem reagiert nur auf die Einzeltaten und nicht auf die prognostizierte Gefährlichkeit. Weil man ganz einfach nicht hellsehen kann.

Es gab ja für diesen Jungen ein Gutachten, dass das geschlossene Heim in der Feuerbergstraße nicht geeignet sei.

Was die Realität belegt. Es ist nicht so, dass, wenn nichts hilft, die geschlossene Unterbringung hilft. Wenn ein Junge sich jeder Erziehung widersetzt, ist er da nicht richtig. Dies ist ja keine Strafe, sondern Hilfe.

Die jetzt auch 12-Jährigen angediehen werden soll, wie die Sozialsenatorin ankündigt.

Was im Prinzip nicht dramatisch wäre, wenn dies nicht als Halbgefängnis verkauft würde. Ich glaube nach wie vor, dass das Konzept der Feuerbergstraße falsch ist, weil es die Frage der Abgeschlossenheit thematisiert und nicht die Frage, wie das Leben für die Jugendlichen weitergeht. Wenn eine Jugendliche zum Beispiel in das geschlossene Heim im bayrischen Gauting kommt, das mit offenen Einrichtungen eng zusammenarbeitet, weiß sie: Hier werde ich groß. Kommt einer in die Feuerbergstraße, denkt er nur: Wie komme ich hier raus. Dies ist ja auch ganz bewusst in dem Freiheitsstufen-Konzept so angelegt.

Die Jugendlichen müssten dort gern bleiben?

Genau, das ist der Trick. Es sind ja zum größten Teil junge Menschen, die in ihrem bisherigen Leben außerordentlich wenig Chancen gehabt haben. Ich habe gerade von Studierenden bundesweit alle Konzepte untersuchen lassen. Beim Hamburger Konzept wird der pädagogische Auftrag durch den Aspekt der Strafe – der ja auch öffentlich kommuniziert wird – geschwächt.

Was ist die Alternative?

Es müsste einen Ort geben, an dem die Abgeschlossenheit auch baulich nicht der Punkt ist. Es müsste Sportanlagen geben oder sogar ein Schwimmbad, wie es zum Beispiel Baden-Württemberg hat. Die Feuerbergstraße mit dem engen Atrium ist grundweg ungeeignet. Damit hat sich die Politik in eine Falle begeben. Sie kommuniziert öffentlich, sie sei in der Lage, zu schützen und einzusperren und ist es real nicht, was alle Beteiligten vorher wussten.

Interview: Kaija Kutter