Den Ärzten aufs Skalpell geschaut

Überproportional viele Kinder kommen in Bremen per Kaiserschnitt zur Welt, ohne dass es dafür einen medizinischen Grund gebe, klagen die Krankenkassen. In der Frauenklinik St.-Jürgen-Straße wollen sie jetzt kontrollieren

Einen sanften Kaiserschnitt gibt es nicht. Der Schmerz kommt hinterher. Oft muss auch beim nächsten Kind geschnitten werden

Bremen taz ■ „Natürlich“ gebären oder „künstlicher“ Kaiserschnitt – ein Reizthema, dem sich nach Hebammenverbänden jetzt auch die Krankenkassen angenommen haben. Der Vorwurf: In Bremen, speziell im Klinikum Mitte, in der Frauenklinik St.-Jürgen-Straße, würde unnötig viel – das heißt ohne einen zwingenden medizinischen Grund – geschnitten. Während im Bundesdurchschnitt jedes vierte Kind auf diese Weise entbunden werde, sei es in Bremen jedes dritte Kind. Tendenz sowohl im Bund als auch in Bremen: steigend. So steht es im aktuellen Krankenhausreport der AOK. Nur im Saarland gibt es danach eine vergleichbar hohe Quote, in allen anderen Flächenländern, aber auch in den Stadtstaaten Hamburg mit 25,2 und Berlin mit 19,2 Prozent ist sie weitaus niedriger.

Diese Zahlen sind Wasser auf die Mühlen derjenigen, die den Kliniken vorwerfen, aus Kosten- und Zeitgründen zu schnell mit dem Messer zur Hand zu sein. Für die Kassen geht es vor allem ums Geld: Im Vergleich kostet nach Angaben des Verbandes der Angestellten Krankenkassen (VdAK) in Bremen eine Sectio Caesarea fast doppelt so viel wie eine spontane Geburt. Hinzu kämen höhere Folgekosten wegen des längeren Krankenhausaufenthaltes, sagt VdAK-Sprecherin Christiane Sudeck. Außerdem komme auf einen großen Teil der Frauen auch bei der zweiten Geburt ein Kaiserschnitt zu. Doch das Gerangel zwischen Kassen und Ärzten um die Kosten sei nur eine Seite, so Sudeck. „Es geht auch um die Qualität, ein Kaiserschnitt ohne medizinischen Grund ist aus unserer Sicht fragwürdig.“

Medizinische Gründe für einen geplanten Kaiserschnitt ließen sich viele finden, sagt Armin Neumann vom Klinikum Links der Weser: Kinder, die nicht mit dem Kopf nach unten in der Gebärmutter liegen, Frühgeburten, Mehrlinge, Krankheiten von Mutter oder Kind, aber auch große Angst oder Teenagerschwangerschaften. In vielen Fällen sei der Griff zum Skalpell aber nicht zwingend.

Die Kassen gehen davon aus, dass die Ärzte ihren Ermessensspielraum zugunsten der Geburt ohne Operation nicht ausnutzen. Eine so hohe Kaiserschnittrate wie im Krankenhausreport angegeben hat in Bremen allerdings nur das Krankenhaus an der St.-Jürgen-Straße, alle anderen liegen etwas über oder unter dem Bundesdurchschnitt. Dass die Bremer AOK die Praxis in der Frauenklinik Mitte deswegen jetzt überprüfen wolle, sei für ihn kein Problem, sagt der Leiter der Frauenklinik, Willibald Schröder. „Die Krankenkassen kochen das jetzt hoch, weil sie vermuten, dass das alles verdeckte Wunsch-Kaiserschnitte sind. Und die wollen sie nicht übernehmen.“ Es seien jedoch nur wenige Frauen, die mit diesem Wunsch kämen und sich nicht umstimmen ließen. „Wir favorisieren das nicht, aber wenn eine Frau das unbedingt will, dann können wir sie nicht zu etwas anderem zwingen“, so Schröder.

Oberärztin Carolin von dem Busche glaubt, dass sich die Einstellung der Frauen geändert habe. Eine Operation erscheine vielen als die einfachere, schmerzfreiere Geburt. Ein Irrtum, sagt die Gynäkologin. „Einen sanften Kaiserschnitt gibt es nicht“, der Schmerz komme hinterher.

Kritiker vermuten andere Gründe für die steigende Zahl von Operationen. „Einen Kaiserschnitt kann man zwischendurch machen“, sagt Rosemarie Guhl vom Bremer Hebammen-Landesverband. Für Ärzte und Ärztinnen sei es bequemer, einen Termin für eine Operation zu machen als stundenlang darauf zu warten, dass sich der Muttermund öffne. Klinikdirektor Schröder weist diese Vorwürfe zurück. Das auf schwierige Geburten und Kinderchirurgie spezialisierte Klinikum Mitte würde vielmehr viele Frauen auch von weiter her anziehen, bei denen aus medizinischen Gründen ein Kaiserschnitt notwendig sei. In den Flächenländern, aber auch im benachbarten Hamburg verteile sich die Betreuung von so genannten Risikoschwangerschaften auf viel mehr Kliniken. „Das kann man nicht miteinander vergleichen.“

Vergleichen könnte man aber vielleicht mit der Nürnberger Frauenklinik, wie die Bremer St.-Jürgen-Straße auf schwierige Geburten spezialisiert und mit 2.300 jährlich geborenen Kindern knapp doppelt so groß. Kaiserschnittrate: Nur zwölf Prozent. „Eine spontane Geburt ist einfach weniger schädlich“, sagt dort der leitende Oberarzt Michael Krause, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, möglichst vielen Frauen – auch „Risikoschwangeren“ – einen Kaiserschnitt zu ersparen. Möglich sei das aber auch nur deswegen, weil es genügend Personal und Zeit gebe, sich um jede werdende Mutter zu kümmern. Eine Qualität, die in den Kreißsälen offenbar vermisst wird – was den Kliniken die Kundinnen raubt. Krause: „Viele Frauen gehen nur in die Geburtshäuser, weil sie Angst haben, im Krankenhaus nicht natürlich entbinden zu können.“

Eiken Bruhn