Integration noch nicht gelungen

Günter Piening, der Integrationsbeauftragte des Landes, ist seit einem Jahr im Amt. In der Migranten-Community häuft sich die Kritik, den meisten deutschstämmigen Berlinern ist er noch gar nicht aufgefallen. Ist Piening schlicht eine Fehlbesetzung?

„Ich bin mit den Duftmarken, die ich gesetzt habe, ganz zufrieden“

von SABINE AM ORDE

Am Anfang stand der Spott. Als bekannt wurde, das Günter Piening neuer Integrations- und Migrationsbeauftragter des Landes werden soll, war vom Zwei-Prozent-Mann die Rede, der Rechtsextremismus bekämpfen könne, aber von Integration keine Ahnung habe. Schließlich war Piening zuvor Ausländerbeauftragter in Sachsen-Anhalt, wo es noch nicht einmal zwei Prozent Einwanderer gibt. Als er dann, heute ist es genau ein Jahr her, sein neues Amt antrat, gab es Vorschusslorbeeren. Gut, dass „das Bemuttern“ und „die Stellvertreterpolitik“ seiner langjährigen Vorgängerin, der CDU-Frau Barbara John, ein Ende habe, hieß es damals in einem Teil der Einwanderer-Community. Es sei höchste Zeit, dass die Partizipation der Migranten in den Vordergrund rücke und auch Flüchtlinge Gehör fänden. Hört man sich jetzt, zwölf Monate später, in der Migrantenszene um, dann geht es ans Eingemachte. Zwar ist noch immer diese Grundübereinstimmung da. Aber die Kritik an Günter Piening ist lauter geworden. Enttäuschung und Ärger haben sich breit gemacht.

„Günter Piening ist zwar auf dem richtigen Weg“, sagt Maciej Berlin vom Polnischen Sozialrat, einer der großen Migrantenorganisationen der Stadt. „Aber das Tempo lässt zu wünschen übrig.“ Damit gehört Berlin zu den zaghaften Kritikern. Der Integrationsbeauftragte sei zu leise, zu vorsichtig und in der Öffentlichkeit kaum präsent, hört man in den Vereinen. Es mangele an Durchsetzungskraft im Senat, an eigenen Akzenten und einer klaren Linie. „Wofür steht Günter Piening eigentlich?“, das fragen sich viele engagierte Migranten auch noch nach einem Jahr, in dem Piening das Gespräch mit vielen von ihnen suchte. Ihre Namen allerdings wollen die Kritiker nicht in der Zeitung lesen. Kein Wunder: Fast alle Vereine bekommen Geld vom Integrationsbeauftragten – und die meisten sind auch durchaus an einer guten Zusammenarbeit interessiert.

Ist Günter Piening also schlicht eine Fehlbesetzung? Es ist komplizierter.

Dass es für ihn nicht leicht werden würde, war von Anfang an klar. Zu übermächtig war seine Vorgängerin Barbara John, vor ihm die erste und einzige Ausländerbeauftragte der Stadt. 21 Jahre lang war sie im Amt und mit diesem quasi verwachsen. Überall war sie präsent, überall hat sie Kontakte. Günter Piening dagegen ist Neuberliner, ihm fehlt jegliche Hausmacht. Der 53-jährige gebürtige Westfale ist Grüner, seinen Job verdankt er der PDS – und wird prompt von beiden Parteien kritisch beäugt. Auch die Seilschaften und Fallstricke in der Berliner Migranten-Community kannte Piening nicht. „Ich habe zu allen Vereinen die gleiche Distanz“, so wendet er dieses Manko ins Positive. „Das macht es schwer für ihn, ein Bein auf den Boden zu kriegen“, sagt eine, die Teil dieser Seilschaften ist. Doch bei allem Verständnis bleibt ihre Kritik: „Der Mann muss sich stärker profilieren.“

Tatsächlich gab es bislang kaum medienwirksame Auftritte, klare Bekenntnisse und Tageskommentare des neuen Integrationsbeauftragten. „Ich bin nicht für schnelle Antworten“, sagt Piening selbst. „Aber wenn es nötig war, habe ich mich laut und deutlich zu Wort gemeldet.“ Zweimal war das im vergangenen Jahr der Fall: Beim Kopftuchstreit hat er eine nachdenklichere Debatte angemahnt und sich klar gegen ein Verbot positioniert. Und als Innensenator Ehrhart Körting (SPD) eine Liste von Problemkiezen herausgab und sein zentrales Kriterium die Ausländerdichte war, da konterte Piening mit einer eigenen Untersuchung. Beide Male hat seine Intervention im Senat Wirkung gezeigt, aber es war eben nur zweimal. Bildungsmisere, Abschiebungen, Verarmung von Einwanderern – dazu war von Piening nichts zu hören. Beim Zuwanderungsgesetz hat er über die Bundeskonferenz der Ausländerbeauftragten Einfluss genommen, öffentlich Alarm geschlagen hat er auf Landesebene nicht. In der Stadt kennt seinen Namen bislang kaum jemand.

Daran werden auch seine „Integrationspolitischen Schwerpunkte“ nichts ändern, die er vor wenigen Tagen vorgestellt hat – und die gute Ansätze beinhalten. Die meisten Medien haben seine Vorhaben, die von Arbeitsmarkt und Bildungspolitik über die interkulturelle Öffnung der Verwaltung bis zum Welcome Package für Neueinwanderer reichen, nicht aufgegriffen. Da hat auch das Lob des einflussreichen Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB) nichts genützt, der prompt eine Presseerklärung verschickte. Schlagzeilentaugliches gab es bei Pienings Vorstellung nicht. Man merkt, dass er studierter Soziologe ist, dass er später lange als Journalist gearbeitet hat, merkt man nicht.

Dabei könnte Piening durchaus Erfolge verkaufen. Zwar geht die Einrichtung des Landesbeirats für Integration und Migration nicht auf sein Konto, die hat die rot-rote Koalition vor seiner Zeit beschlossen. Sechs Vertreter der Migranten sitzen in dem 23-köpfigen Gremium, das den Senat in Sachen Einwanderung beraten soll und derzeit ein Integrationskonzept für Berlin erarbeitet. Aber Piening hat Rahmenbedingungen für die Auswahl der sechs festgelegt und damit die zahlreichen, zum Teil untereinander zerstrittenen Migrantenvereine der Stadt an einen Tisch gezwungen – die sich nach einigem Hauen und Stechen tatsächlich auf sechs VertreterInnen einigten.

Dieser Prozess hat schließlich auch zur Gründung des Migrationsrats Berlin Brandenburg geführt, einem Dachverband, zu dem sich im März 45 Vereine zusammenschlossen. Es ist das erste Bündnis dieser Art in Berlin, das nicht auf ethnischen Kriterien beruht. „Wir wollen die Interessen aller Migranten vertreten“, sagt Mounir Hussein von der palästinensischen Gemeinde, einer der drei Sprecher des Rats. Für Günter Piening ist das ein wichtiger Schritt: „Hier haben viel zu lange die unterschiedlichen Ethnien ihr eigenes Süppchen gekocht“, sagt er und hat Recht damit.

Überhaupt will der Neuberliner eingefahrene Strukturen aufknacken und überfällige Debatten führen. Dazu gehört auch, dass Piening die Förderpraxis seines Amtes überprüft, was lange überfällig ist. Spätestens ab 2006 sollen die Integrationsmittel stärker auf die sozialen Brennpunkte konzentriert werden. Damit stehen alle 4,2 Millionen Euro Fördermittel, die jährlich landesweit an die Wohlfahrtsverbände, aber eben auch an die Migranten-Selbsthilfeprojekte gehen, auf dem Prüfstand. Derzeit werden die einzelnen Projekte evaluiert. Das hat zu viel Unruhe in der Migranten-Community geführt, schließlich gibt es viel zu verlieren. Das dürfte auch einen Teil des Ärgers über Piening erklären. Aber eben nur einen Teil.

„Wenn es um Umstrukturierungen geht, gibt es häufig Unmut“, sagt denn auch Giyasettin Sayan, der migrationspolitische Sprecher der PDS. Der kurdische Berliner kennt die Kritik aus der Migranten-Community, er teilt sie nicht. Sayan ist mit Piening zufrieden, er lobt ihn als „politischen und konzeptionell denkenden Kopf“.

Manchen Migranten reicht das nicht. „Bei Barbara John mit ihrer mütterlichen Art haben sich alle mit ihren Problemen gut aufgehoben gefühlt“, sagt einer, der es wissen muss. Der hochgewachsene blonde Piening dagegen wirkt kühl und distanziert. Manche sagen, er sei arrogant. Mitgefühl zu zeigen, ist jedenfalls seine Sache nicht. Piening analysiert Probleme aus Soziologensicht, will weg vom Defizitblick und er nimmt die Betroffenen selbst in die Pflicht. „Lehrer müssen ihre Haltung verändern“, forderte er jüngst beim Türkischen Elternverein, die Lehrer im Publikum dankten es ihm nicht.

„Piening hat sich gemausert“, urteilt unterdessen der grüne Migrationspolitiker Özcan Mutlu, vor einigen Monaten überwog bei ihm noch die Kritik. Mutlu hebt besonders hervor, dass Piening auf Dialog unter den Betroffenen setzt. Dazu hat dieser in der Werkstatt der Kulturen die Debattenserie „Under Construction – Einwanderungsstadt Berlin“ eingeführt. Schule und Islam stand dort bereits auf dem Programm, auch Moscheeneubauten wurden heiß debattiert. Um den üblichen Schlagabtausch zu vermeiden, hatte Piening diese Veranstaltung gut organisiert. Die Teilnehmer wurden nach Funktion gemischt und in Zehnergrüppchen an Tischen postiert, um Fragen zu erarbeiten statt schnelle Antworten zu geben.

Solche Ansätze lobt auch der TBB, der in seiner Kritik zurückhaltend ist. Nur von einem sei man wirklich enttäuscht, sagt TBB-Sprecher Safter Cinar. „Wir haben uns ein kritischeres Verhältnis zu den islamistischen Organisationen gewünscht.“ Das versteht Günter Piening nicht. „Ich diskutieren mit denen öffentlich, und das ist dringend notwendig.“ Auch andere Kritikpunkte sind für den Integrationsbeauftragten, schlicht „nicht nachvollziehbar“. „Ich bin mit den Duftmarken, die ich gesetzt habe, ganz zufrieden“, sagt er. Ganz so einfach ist es freilich nicht.

Wahrscheinlich muss man Mounir Hussein Recht geben, dem Sprecher des Migrationsrats. „Man darf nicht vergessen, dass Barbara John 21 Jahre im Amt war“, sagt der Deutsche palästinensischer Abstammung. „Man muss Günter Piening noch Zeit geben.“