Kontrolliert die Kontrollettis!

Sie schlagen, pöbeln, nehmen in den Schwitzkasten. Die Kontrollettis werden immer mehr zum Problem der BVG. Und keiner kontrolliert sie. Es sei denn Sie, liebe Leserinnen und Leser

VON THORSTEN DENKLER

Der Kopf von Stefan Büttner (21) klemmt zwischen den Armen des Kontrolleurs der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Schwitzkasten wird der Griff landläufig genannt. Damit es richtig weh tut, ist sein Arm auf den Rücken gedreht. Widerstand zwecklos.

Stefan Büttners Verbrechen: Er ist auf dem Weg zum Arzt zwischen den Bahnhöfen Turmstraße und Hansaplatz ohne gültigen Fahrausweis gefahren. Büttner ist Abo-Kunde. Es ist Anfang Mai und er hat vergessen die neue Monats-Wertmarke auf seine Trägerkarte zu kleben. Das hatten wenige Stationen vorher schon andere Kontrolleure bemerkt, die ihm ein Ticket über 40 Euro ausstellten, ihn aber weiterfahren ließen. Es half nichts. Wer zweimal am gleichen Tag erwischt wird, muss ein böser Bube sein. Also erst mal in den Schwitzkasten mit ihm.

Büttners Arzt wartet umsonst auf seinen Patienten. Nach der Attacke hat der andere Schmerzen. Das Attest weist in für zwei Tage als arbeitsunfähig aus. Büttner kellnert, um sein Studium an der Fachhochschule zu finanzieren. Mit schmerzendem Arm schwer möglich. Krankengeld gibt es nicht.

In letzter Zeit häufen sich wieder Vorfälle mit Kontrolleuren, die es mit dem Höflichkeitsgebot der landeseigenen Unternehmensführung nicht ganz so genau nehmen. Ein Fahrgast wird als „Bastard“ beschimpft, eine behinderte Frau angepöbelt, weil sie dem Kontrolleur nicht schnell genug reagiert. Ein Vater soll 40 Euro zahlen, weil er nach dem Einsteigen erst den Kinderwagen sichert, bevor er seinen Fahrschein entwertet. Ein anderer erntet einen Schlag ins Gesicht, weil er einen BVG-Mitarbeiter am Schalter darum bittet, den Empfang eines Briefes an die Abo-Abteilung zu quittieren.

Beim Berliner Fahrgastverband IGEB und der Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM) stapeln sich die Beschwerden. Die Fälle seien sprunghaft angestiegen, heißt bei der IGEB. „Eindeutig imageschädigend“, sagt BTM-Sprecherin Natascha Kompatzki.

Ein Urteil, dem sich die BVG anschließt. Sprecherin Petra Reetz sagte der taz: „Wir sind auf zufriedene Kunden angewiesen.“ 200 Menschen hätten sich bei der BVG in den ersten drei Monaten über unfreundliche Kontrolleure beschwert. Etwas mehr, als im Vorjahreszeitraum. Reetz begründet dies mit der gestiegenen Zahl der Kontrollen. Im ersten Quartal 2003 mussten 1,6 Millionen Fahrgäste ihren Fahrausweis vorzeigen. Im gleichen Zeitraum 2004 waren es 2,7 Millionen.

Den größten Teil der Kontrollen leisten die in der Arge zusammengeschlossenen privaten Sicherheitsdienste GSE und Wachschutz. Laut Vertrag müssen sie der BVG in diesem Jahr 700.000 erhöhte Beförderungsentgelte vorlegen. Die Zahl soll auf 600.000 reduziert werden, weil sich die neue Buseinstiegsregel bezahlt gemacht hat, sagt BVG-Sprecherin Reetz. Fahrgäste müssen seit erstem April immer vorn einsteigen und ihren Fahrausweis vorzeigen. Mehreinnahmen: 4,6 Millionen Euro in diesem Jahr. Schwarzfahrerquote: kaum noch messbar. Kontrollen sind fast überflüssig.

Rüpelverhalten gibt es auf beiden Seiten. Reetz sagt, dass nahezu täglich Busfahrer geschlagen, Kontrolleure getreten und beschimpft werden. Das soll nichts entschuldigen. Aber: „Die Stadt ist aggressiver geworden.“ Auffällige Kontrolleure werden meist entlassen. Im vergangenen Sommer gab es eine Welle von Beschwerden. Zehn Kontrolleure mussten gehen. Die BVG droht Arge mit Bußgeldern, wenn sie nicht mehr Sorgfalt auf die Auswahl ihrer Mitarbeiter legen. Dazu gehört auch ein gepflegtes Erscheinungsbild.

Die Ausbildung dauert mehrere Wochen. Wer Kontrolleur werden will, muss das Preissystem, kennen, Sonderaktionen aufsagen können und einen Nachhilfekurs in Höflichkeit absolvieren. Dass hinterher nicht alle auf gleicher Höhe sind, ist alltägliche Erfahrung. „Es gibt immer Idioten, die sich als Sheriff beweisen wollen“, sagt Reetz.

Die BVG will mit mehr Kulanz gegenüber ihren Kunden verlorenes Vertrauen wettmachen. Nur von den Kontrolleuren dürfe dies nicht zwingend erwartet werden. Sie haben zwar Ermessensspielräume. Letztlich sitzt ihnen aber ein Chef im Nacken, der pro Schicht eine bestimmte Anzahl von Zahlungsaufforderungen erwartet.

Reetz bestätigt: „Für Kulanz ist die Beschwerdestelle der BVG zuständig.“ Von den Kontrolleuren erwartet sie, das diese die Fahrgäste nett und freundlich auf diese Instanz hinweisen. Meist wird hier im Sinne des Kunden entschieden. Eine Erfahrung, die von den Verbraucherzentralen geteilt wird. Sie raten ausdrücklich, sich nicht auf Diskussionen mit Kontrolleuren einzulassen, sondern gleich die Beschwerdestelle aufzusuchen.