TRAUER BRAUCHT WEDER KIRCHLICHE NOCH BEHÖRDLICHE VORSCHRIFTEN
: Staub zu Staub

Jeder soll nach seiner Facon selig werden, aber bestattet werden die Unterthanen in Reih und Glied. So wollte es der Obrigkeitsstaat, und so wurde bei uns auch unter demokratischen Verhältnissen jahrzehntelang verfahren. Jetzt droht an allen Ecken Deutschlands, denn Bestattung ist Ländersache, die Verwilderung des Beerdigungswesens. Dahin der Sargzwang, dahin das städtische Friedhofsmonopol. Friedwälder sollen erlaubt sein, wo die Asche verstreut oder an den Wurzeln einer Eiche in einer biologisch abbaubaren Urne begraben wird. Regredieren wir zum Animismus, fallen wir aufs Niveau der Naturvölker zurück?

Die Kirchen befürchten das Schlimmste. Von Seiten der evangelischen ist die Klage zu hören, Tod und Begräbnis drohten bei einer Liberalisierung der Bestattungsvorschriften zur Privatangelegenheit zu werden. Was, bitte, sind sie denn heute sonst? Selbst der überzeugungsstärkste Kommunitarist kann keinen Beleg dafür erbringen, dass Beerdigung und Totenandenken als Gemeinschaftsaufgabe angesehen und wahrgenommen werden. Ein Blick auf die Friedhöfe straft solche Behauptungen Lügen. Wo immer dort eine Wiese zu finden ist, sonnen sich die Städtebewohner, während die alten Gräber zusammenfallen. Außer denen der Heroen natürlich, die dem Blick der Friedhofstouristen gepflegt dargeboten werden müssen. Und wieso soll sich die Daseinsfürsorge der öffentlichen Hand, die im Zeichen der Agenda 2010 bei den noch Lebenden so schmerzlich vermisst wird, auf unsere teuren Toten erstrecken?

Oder sollen die Toten schön beisammenbleiben, so dass sie am Tag des Jüngsten Gerichts leichter aus ihren Gräbern getrommelt werden können? „Lazarus komm herfür“, schrieb der verewigte James Joyce im „Ulysses“: „Jeder grapscht wie wild nach seiner Leber, seinen Glotzern und den restlichen Siebensachen. Dabei findet er doch nischt wieder an dem Morgen. Ein Pennyweight Staub bloß noch im Schädel.“ Vergessen wir das Jüngste Gericht. Aufs Erinnern, aufs Eingedenken kommt es an. Dafür braucht’s keinen behördlich zugewiesenen Gedächtnisraum.

Auch nach neuem Beerdigungsrecht ist es der Familie verboten, die Asche von Oma und Opa absturzsicher auf dem Bücherregal aufzubewahren. Das sei würdelos. Würde hat eine harte Substanz, aber die Formen sind variabel nach Zeit und Raum. Ist der Ahnenaltar der Buddhisten mit den Fächern für die Toten, die dort bei wichtigen Anlässen konsultiert werden, etwa bar jeder Würde? Oder existiert hier ein Band der Generationen, von dem unsere Wahrer administrierten Totengedenkens nur träumen können?

Bedauerlicherweise bleibt es auch nach neuem Recht kompliziert, sich fürs Grab ein schönes Plätzchen außerhalb von Deutschlands Grenzen zu suchen. Wenigstens sollte es im Rahmen des EU-Wettbewerbs polnischen und tschechischen Friedhöfen erlaubt sein, kostengünstige letzte Ruhestätten für die einstmals Vertriebenen zum Aufenthalt in der Heimaterde anzubieten. Dort herrscht außerdem noch eine korrekte Friedhofsordnung. Und eine jährliche Totenmesse kommt den Katholiken nicht zu teuer. CHRISTIAN SEMLER