EnBW verliert den Überblick

Zu viele Beteiligungen: Der viertgrößte deutsche Stromkonzern muss saniert werden

„Verluste – für einen deutschen Energiekonzern ein bemerkenswertes Faktum“

BERLIN taz ■ Es gibt Sachen, die gibt es gar nicht. Zum Beispiel wirtschaftliche Probleme bei deutschen Stromkonzernen. Die Energie Baden-Württemberg AG ist so ein Beispiel, das es gar nicht geben dürfte: Dem viertgrößten Stromer des Landes, der immer nur kurz EnBW genannt wird, drohen in diesem Jahr 800 Millionen Euro Verlust. In Karlsruhe stellte gestern der neue Konzernchef Utz Claassen „operative Maßnahmen“ vor, mit denen die Kosten bis 2006 um eine Milliarde Euro gesenkt werden sollen. Denn genau der Betrag fehlt in den Kassen der EnBW.

Die Geschäfte übernommen hat Claassen im Mai. Und als neuer Chef machte er das, was ein neuer Chef zuerst macht: Bücher prüfen. Dabei sei eine „potenzielle Ertragsbelastung für 2003“ aufgefallen. Bereits 2002 habe es eine Verlustsituation gegeben. „Für einen Energiekonzern ein bemerkenswertes Faktum“, urteilt selbst Claassen.

Allerdings hängt dieses Faktum nicht mit dem Energiesektor zusammen. 400 Tochterunternehmen und Beteiligungen – Claassen hat im Konzern noch niemand getroffen, „der die alle kennt“. Vom Schuhhersteller Salamander bis zum Parkplatzbetreiber Apcoa: „Wir haben uns mit zu vielen Themen verzettelt.“ Mindestens 55 Tochterfirmen seien defizitär, 7 davon hätten zweistellige Millionenverluste geschrieben.

Zum Beispiel Thermoselect. 400 Millionen Verlust bescherte die umstrittene Müllverbrennungstochter der Mutter bislang. Bis zum Jahresende räumt ihr Claassen eine Gnadenfrist ein. „Wenn es dann keine Ertragsverbesserung gibt, bleiben keine Alternativen, den Ausstieg zu prüfen“, so der EnBW-Chef. Zum Beispiel Yello. Bis zu 500 Millionen Euro hat Mutter EnBW in den atomaren Billigstromanbieter investiert. Wollen die Gelben Brestand haben, müssen sie auf Claassens Geheiß spätestens 2005 Gewinn schreiben. Zum Beispiel GegenbauerBosse. Der Berliner Hausmeister- und Gebäudemanagement-Spezialist kam durch den Kauf von Salamander ins Porfolio. Jetzt soll er schleunigst das Schicksal teilen, das schon Salamander einholte: Er soll verkauft werden.

Mit all diesen Entzerrungen und Konzentrationen aufs Kerngeschäft Energie lassen sich Claassens Sparvorgaben aber nicht allein realisieren. Durch Entlassungen sollen 350 Millionen Euro gespart werden. Der Chef spricht von betriebsbedingen Kündigungen und davon, dass es ein „disproportionales Verhältnis von Häuptlingen und Kriegern“ gibt. Ein Häuptling musste bereits seinen Hut nehmen: Finanzchef Bernd Balzereit, der vor einem Jahr von der Berliner Bewag gekommen war.

Auch wenn Claassen sich beharrlich weigert, ihn zu nennen – das EnBW-Dilemma hat einen Namen: Gerhard Goll. Der ehemalige Banker und CDU-Fraktionsvorsitzende im baden-württembergischen Landtag kaufte auch dann noch quer durchs Gemüsebeet, als RWE oder E.ON sich aufs Kerngeschäft zurückbesannen. Auf Hilfe vom Großaktionär Electricité de France jedenfalls kann EnBW nicht hoffen. Frankreichs Atomstromer stecken nämlich selbst in Schwierigkeiten. Und auch aus dem EnBW-Börsengang wird erstmal nichts – wegen Risiko verschoben. NICK REIMER