Kochs lautes Schweigen

Damit es nicht wieder zum parteiinternen Streit über die vorgezogene Steuerreform kommt, verordnete Merkel Ruhe

Kann sich Merkel darauf verlassen, dass sich Koch, Wulff und Stoiber an das Schweigegelübde halten?

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Roland Koch gilt als Freund deutlicher Worte. Es kommt selten vor, dass sich der hessische Ministerpräsident windet und windet und windet, wenn ihn jemand nach seiner Meinung fragt. Gestern Nachmittag auf der Berliner Bühne der Bundespressekonferenz war dieses seltene Schauspiel zu betrachten: viele Fragen zur geplanten Steuersenkung, aber keine Antwort mehr von Koch. Dass es ihm peinlich war, niemand konnte es übersehen. Mehrmals bat Koch darum, nicht weiter nachzubohren und „bitte den Blick wieder ein Stück auf die Regierung zu lenken“. Im Umkehrschluss bedeutet das: Der Blick auf die Machtverhältnisse in der CDU war für Koch gestern eher unschön.

Am Ende dürfte sich der Gast aus Wiesbaden überlegt haben, ob es so schlau war, direkt nach seiner Parteichefin Angela Merkel vor der Presse aufzutreten. Wäre er gleich abgereist oder gar nicht erst zur Präsidiumssitzung nach Berlin gekommen (wie der Kollege Christian Wulff aus Niedersachsen) – Kochs lautes Schweigen wäre nicht so aufgefallen. So aber konnte Merkel mit Vergnügen zusehen, wie sich ihr Rivale winden musste. Zumindest für einen Tag hat Merkel erreicht, was sie wollte.

Die Chefin gab die Richtung vor, das CDU-Präsidium folgte. Einstimmig wurde ein Beschluss gefasst: „Die CDU bekräftigt ihre Zustimmung zu einer seriös finanzierten Steuersenkung.“ Bekräftigt also. Als ob es vorher kein lautes Nein des Hessen Koch und des Niedersachsen Wulff gegeben hätte. Damit es jetzt nicht wieder gleich zum Streit kommt, verdonnerte Merkel die Kollegen auch noch hochoffiziell zum Schweigen. Über das Vorziehen der Steuerreform sollen alle Christdemokraten erst dann wieder sprechen, wenn ein Vorschlag der Regierung vorliegt. Bis dahin „keine Nebenbemerkungen“ mehr, verfügte Merkel und nahm die renitenten Ministerpräsidenten in die Pflicht. „Jeder, der sich verantwortlich fühlt für ein gemeinschaftliches Auftreten der Union“, müsse „genau dieser Beschlussfassung folgen“. Erst der Kanzler, dann die Union. Bei dieser „Arbeitsteilung zwischen Regierung und Opposition“ soll es bleiben. Punkt.

Merkel möchte, dass sich der Eindruck festigt: Jeder, der jetzt noch dazwischenquatscht und beispielsweise eine Neuverschuldung zur Finanzierung der Steuersenkung ausschließt, wie es Koch in den vergangenen Tagen mehrfach tat, gilt fortan als Störenfried und Querulant. Oder als einer, dem sein persönliches Fortkommen wichtiger ist als das Interesse der Partei. Und was im Interesse der Partei liegt, hat Merkel definiert: die Regierung kommen lassen, nicht mit eigenen Vorschlägen und Widersprüchen für Verwirrung sorgen. Entsprechend zahm gab sich Koch. Von einem Streit, der mühsam beigelegt wurde, wollte er nichts wissen. Schon vor Einigung aufs Schweigen habe es nur kleine „Einschätzungsunterschiede“, ja „Nuancen“ zwischen den Präsidiumsmitgliedern gegeben, versicherte Koch treuherzig und vermied jeden öffentlichen Seitenhieb auf seine Konkurrentin bei einer möglichen Kanzlerkandidatur 2006: „Es gibt keinen Streit zwischen mir und Frau Merkel.“

Auch Merkel selbst bestritt energisch, dass es bei dem Steuerstreit eigentlich um einen „Machtkampf“ zwischen den führenden Unionspolitikern geht. Sie sagte, wenn das Wort „Machtkampf“ im Präsidium überhaupt gefallen sei, dann nur in der „Verneinung“. Einhellig sei die Meinung gewesen, dass es nur um eine „Sachfrage“ gehe. Das ist natürlich Quatsch. Zu offensichtlich war Koch auf einem Profilierungstrip gewesen, hatte den konsequenten Sparhaushälter gemimt, der sich nicht verbiegen lässt. Der sich nichts von seiner Führung sagen lässt. Kaum hatte Merkel „Ja, aber“ zur Steuerreform gesagt, kam aus Hessen ein „Nein, aber“. Kaum hatte Merkel eine Neuverschuldung grundsätzlich in Kauf genommen, schoss Koch dagegen. Damit ist es erst einmal vorbei.

Die Leute aus Merkels Umfeld sahen gestern erheblich fröhlicher drein als Kochs Pressesprecher, der griesgrämig daneben saß, als sich sein Chef verbiegen und vor Merkel geradezu verbeugen musste. Auch er weiß: Die CDU-Chefin hat jene Führungskraft bewiesen, die ihre Kritiker von ihr verlangten. Den CSU-Chef und potenziellen Dauerkonkurrenten Edmund Stoiber hatte sie schon vorher eingebunden. Stoiber hatte dabei keine Wahl. Vor seiner Landtagswahl im September kommt es nicht gut an, wenn er gegen eine Steuersenkung wettert. Also macht er das „Ja, aber“ der CDU-Kollegin mit.

Nur wie lange hält der Frieden? Kann sich Merkel darauf verlassen, dass sich Koch, Wulff und Stoiber an das Schweigegelübde halten? Wohl kaum. Die Regierung wird nichts unversucht lassen, den Streit in der Union aufs Neue zu entfachen. Einen konkreten Gesetzestext zur Steuersenkung, auf den Merkel warten will, bis die Union reagiert? Den gibt es nicht so schnell. Vorher dürfte der Kanzler noch ein paar Versuchsballons steigen lassen. Der eine oder andere rot-grüne Politiker wird einen Vorschlag machen – und der eine oder andere CDU-Politiker wird dazu gefragt werden. Ob Koch dann weiter schweigt?