: Sonne, Wind und Wärme
VON BERNHARD PÖTTERUND NICK REIMER
Der Kanzler hatte es eilig. Acht Stunden Zeit nahm er sich mitten im heißen Wahlkampf am 2. September 2002 für den UN- Gipfel zur nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg. Ganze fünf Minuten redete Schröder vor der Vollversammlung. Und präsentierte darin einen der wenigen Lichtblicke auf dem Gipfel, der sich im Gezerre um Details zu Fragen von Handel, Energie, Wasser oder Klimaschutz verloren hatte. Schröder versprach nicht nur jeweils 500 Millionen Euro für regenerative Energien in Entwicklungsländern und für Energieeffizienz. Er lud auch alle, die es mit einer anderen Energiepolitik ernst meinten, nach Deutschland zu einer Folgekonferenz ein.
Vertreter aus über 100 Länder sind gekommen. In Bonn startet heute die Internationale Konferenz zum Ausbau erneuerbarer Energie – die „renewables 2004“. Die Konferenz ist das Eingeständnis, dass die Weltgemeinschaft auf UN-Konferenzen kaum noch zu einer gemeinsamen Linie findet – wie etwa noch zur Klimakonferenz in Kioto 1997. Die „Koalition der Willigen“ versucht nun diese Blockade zu umgehen. Einzelne Länder oder Staatenblöcke wollen in Bonn ihre Pläne für eine Energiepolitik jenseits von Kohle, Öl und Gas präsentieren und strategische Allianzen bilden. Es geht um die Potenziale für erneuerbare Energien, wie man sie plant und finanziert, welche Kooperationen es geben kann. Der Vorteil: Weil im Gegensatz zu einer UN-Konferenz nichts beschlossen wird, was völkerrechtlich bindet, braucht niemand zu blockieren.
Es gilt die Scherben von Johannesburg aufzusammeln. Die EU und Deutschland hatten dort die regenerativen Energien als zentralen Punkt für einen Erfolg des Gipfels betrachtet. Das entpuppte sich als Rohrkrepierer: Zielquoten und einen international verbindlichen Zeitplan für den Ausbau erneuerbarer Energien wurden von den USA und den Opec-Staaten verhindert. Dabei hatten sich die Europäer schon darauf eingelassen, bis 2010 eine Quote von 15 Prozent des globalen Stroms aus erneuerbaren Energien zu akzeptieren – und dabei die Energie aus umweltzerstörenden Großstaudämmen einzurechnen. Ohnehin lag diese Quote bereits bei 13 Prozent, das Ziel hätte leicht erreicht werden können. Doch aus den USA kam ein striktes „No“.
Für Bonn haben die Länder besser vorgearbeitet. In fünf Vorbereitungskonferenzen haben sie ihre Ziele und Probleme bei der Förderung regenerativer Energien formuliert. Konkrete Zielquoten haben nur die EU (20 Prozent der Endenergie aus erneuerbaren bis 2020) und Lateinamerika (10 Prozent der Primärenergie bis 2010). „Bei anderen Ländern sind Quoten nicht durchzusetzen“, heißt es aus dem Bundesumweltministerium. Die Teilnehmer diskutieren, wie erneuerbare Energien in ihren Regionen durchgesetzt werden könnten: Welche Gesetze braucht man, was kostet das an Subventionen, wie bekommt man Finanzhilfen der internationalen Banken, welche Forschungsinfrastruktur braucht man?
„Bislang haben sich Klimakonferenzen immer mit Einsparen, Drosseln und Abbau befasst“, sagt Professor Peter Hennecke, Chef des Wuppertaler Klima-Instituts. „Das ist natürlich unsexy.“ Reizvoller sei es, sich in Visionen von Wachstum und Arbeitsplätze, Reichtum und Aufbau zu ergehen. Es geht also um mehr als nur die Frage, welcher Strom aus der Steckdose kommt. Zum Beispiel um die Millenniumsziele der UNO – also darum, die Zahl der Menschen, die mit weniger als einem Doller täglich ihr Dasein fristen, bis 2015 zu halbieren. Etwa zwei Milliarden Menschen, ein Drittel der Weltbevölkerung, verfügen über keinen Anschluss an ein Energiesystem – ein zentrales Entwicklungshemmnis. Experten haben berechnet, dass – soll das UNO-Ziel erreicht werden – die Entwicklungsländer ihren Energieeinsatz mehr als verdoppeln müssten. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczoreck-Zeul (SPD): „Wir wollen erreichen, dass 25 Prozent dieses Energiehungers durch regenerative Rohstoffe gedeckt werden.“
Die globale Ausbreitung von Strom und Wärme aus Wind, Wasser, Sonne, Biomasse oder Erdwärme hat nach Ansicht der Bundesregierung gleich mehrere Vorteile: So bringen erneuerbare Energien Strom und Licht auch in abgelegene Gegenden, erhöhen den Lebensstandard und vermindern die Landflucht. Zugleich senken sie die politische und wirtschaftliche Abhängigkeit von Ölstaaten und internationalen Konzernen. Sie reduzieren die Belastung der Atmosphäre durch die Abfälle, die bei Produktion, Transport und Verbrauch fossiler Brennstoffe entstehen. Und: Sie sichern deutschen Unternehmen Absatzmärkte im Ausland.
Wieczoreck-Zeul hat neben dem rein technischen Argument aber noch ein wirtschaftliches: „Entwicklungsländer, die nicht über Ölquellen verfügen, können ihren wachsende Energiebedarf nicht über Ölimporte decken. Dafür fehlt ihnen zunehmend das Geld.“ Der derzeitige Rohölpreis liegt bei etwa 5 Dollar je Barrel über dem langfristigen Mittel. Dadurch müssen die Entwicklungsländer jährlich 60 Milliarden Dollar zusätzlich aufbringen. 60 Milliarden Dollar entsprechen etwa der weltweiten Entwicklungshilfe.
Die „Koalition der Willigen“ besteht aus jenen 86 Staaten, die bislang der „Johannesburg Renewable Energy Coalition“ beigetreten sind: den EU-Staaten und vielen G 77-Staaten wie Brasilien, Indonesien oder Südafrika. Nach Bonn kommen natürlich auch Delegationen, die nicht der „Welt der Willigen“ entstammen. Die Delegation der USA mit dem Energieminister an der Spitze ist ein gern gesehener Gast – sie muss nichts mittragen, was sie nicht will, kann den anderen aber auch nicht die Tour vermasseln. Klaus Töpfer, der Direktor des UN-Umweltprogramms, reist an, ebenso Weltbankgeschäftsführer Peter Woicke. Trotz aller Selbstständigkeit gegenüber der US-Politik achten die Veranstalter darauf, keine Buhmänner auszurufen. Die Schlusserklärung etwa soll im Konsens auch mit den USA erarbeitet werden, auch wenn den NGOs das nicht gefällt.
Für Wieczoreck-Zeul ist klar: „Der Gehalt der Konferenz wird an konkreten Beschlüssen gemessen.“ Deshalb soll ein Aktionsprogramm zusammengestellt werden. Deutschland wird einen Fonds für die Länder des südlichen Afrika vorschlagen, der kleineren und mittleren Unternehmen die Nutzung erneuerbarer Energietechnik ermöglicht, ein gemeinsames Projekt mit Frankreich soll im ländlichen Afghanistan Kraftwerke finanzieren, und Geld soll es für die Erkundung der Geothermie-Potenziale in Ostafrika geben.
Eine zentrale Rolle billigt die Entwicklungsministerin der Weltbank zu. „Wir erwarten, dass sie eine Vorreiterrolle bei der Förderung erneuerbarer Energien übernimmt.“ Vor drei Wochen habe sie „große Übereinstimmung der politischen Ziele“ bei einem Gespräch mit Weltbankchef James Wolfensohn festgestellt. „Es kommt nun darauf an, dass die Weltbank hier auch entsprechende Initiativen darstellt.“
Offiziell ist von so einem Richtungswechsel bei der Weltbank bislang nichts zu spüren. Die vor einem Jahr vorgestellte „Extractive Industries Review“ – eine Überprüfung der Weltbankpolitik bei Energieprojekten – hat einen Ausstieg aus der Finanzierung fossiler Energieprojekte binnen fünf Jahren gefordert. Das Geld solle stattdessen in erneuerbare Energien investiert werden. Das Weltbankmanagement torpedierte das: Ein solcher Kurswechsel helfe weder der Bank noch den Entwicklungsländern, hieß es.
Zusätzliches Geld wird in Bonn wahrscheinlich nicht verteilt. „Warten wir erst einmal die Haushaltsverhandlungen ab“, sagt Jürgen Trittin (Grüne). Um dabei seine Position zu verbessern, wird der Umweltminister nicht müde, einen weiteren Nutzen der erneuerbaren Energien zu betonen: „Wir sind da technologisch ganz weit vorn. Von einem weltweiten Ausbau regenerativer Energie profitieren nicht nur das Klima und die Entwicklungsländer, sondern auch die deutsche Wirtschaft.“
Die muss sich allerdings umstellen. Die deutschen Hersteller von Windkraft- und Solaranlagen müssen sich künftig verstärkt für den Export ihrer Techniken engagieren, heißt es in einem Bericht der Bundesregierung. Deshalb hat die „Deutsche Energieagentur dena“ 2002 auch eine “Exportinitiative Regenerative Energien“ gestartet. Und genau das bringt der Konferenz die Kritik, so etwas wie eine Verkaufsmesse für deutsche Technik zu sein. Von Vattenfall bis E.on, von Vestas bis zur Solar World AG – tatsächlich präsentieren sich deutsche Firmen auf dem Bussinesforum vor dem ehemaligen Kanzleramt. „Von Messe kann man aber nicht sprechen. Wir verkaufen ja nichts“, sagt Oliver Weinmann von Vattenfall. Auch Wieczoreck-Zeul weist die Kritik zurück: „Entwicklungsländer, die bereits erneuerbare Energien nutzen, merken, dass dahinter keine großen Konzerne, keine stark vermachteten Strukturen stehen.“ Die Gefahr neuer Abhängigkeiten sei daher wesentlich geringer.
Nach wie vor ist die Gewinnung erneuerbarer Energie wesentlich teurer als die fossile. „Hier sind die Industrieländer gefragt“, sagt Wieczoreck-Zeul. Je mehr Förderung es in den Industrieländern gebe und je stärker erneuerbare Energien dort eingesetzt würden, „umso größer sind die Chancen, dass sie auch in den Entwicklungsländern genutzt werden“.
Dieser Verantwortung kommen die Industriestaaten allerdings oft nicht nach. Ganz so aus einem Guss, wie es Rot-Grün gern hätte, ist auch die deutsche Politik bei der Förderung nachhaltiger Entwicklung in den Ländern des Südens nicht. Erst kürzlich monierte die Entwicklungs- und Umweltgruppe „Urgewald“ das Geschäftsgebahren der überwiegend bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Der Bank, die in Deutschland Programme etwa zum Klimaschutz finanziert, warf Urgewald vor, dass viele ihrer Auslandsgeschäfte „mit gravierenden Schäden für Mensch und Natur“ einhergingen. Staudämme, Atomkraftwerke und Bergbauprojekte seien KfW-finanzierte „ökologisch und sozial desaströs“.
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