Angst vor EU-Macht

Gibt der Lissabon-Vertrag der Europäischen Union zu viele Rechte? Das prüft Mitte Februar das Verfassungsgericht

KARLSRUHE taz ■ Die Richter haben etwas vor. Die Klagen gegen den EU-Vertrag von Lissabon sollen an zwei Tagen, am 10. und 11. Februar, verhandelt werden und nicht wie üblich an einem Tag. Offensichtlich plant das Bundesverfassungsgericht ein Grundsatzurteil, mit dem es Vorgaben für die weitere EU-Integration machen will.

Mit dem Vertrag von Lissabon will sich die Europäische Union effizientere Strukturen geben. Im Ministerrat könnte dann häufiger als bisher mit Mehrheit abgestimmt werden, das Europäische Parlament bekäme mehr Einfluss, die europäische Außenpolitik würde besser koordiniert, Grundrechte sollen in einer Charta ausdrücklich garantiert werden. Neue Befugnisse werden nicht auf Europa übertragen.

Bundestag und Bundesrat haben dem Vertrag im Mai mit großer Mehrheit zugestimmt. Im Oktober unterzeichnete Bundespräsident Horst Köhler das deutsche Zustimmungsgesetz. Die Ratifikationsurkunde hat er aus Rücksicht auf das Karlsruher Verfahren noch nicht an die EU abgesandt. Auch die Zustimmung Irlands steht noch aus.

Gegen den neuen EU-Vertrag sind zahlreiche Verfassungsklagen eingegangen. Die bekanntesten Kläger sind dabei CSU-Querkopf Peter Gauweiler und die Linksfraktion im Bundestag. Sie sehen sowohl die Rechte des Bundestags als auch ihre Rechte als Bürger verletzt. Gauweiler moniert, dass die EU mit dem Lissabon-Vertrag zum Staat werde und Deutschland seine Staatlichkeit verliere. Das EU-Recht bekomme Vorrang vor deutschem Recht.

Auch die Linke hat grundsätzliche Bedenken. Weder die nationalen Parlamente noch das Europäische Parlament hätten genug Einfluss auf die EU-Rechtssetzung. Der Reformvertrag lege die EU auf eine marktradikale, neoliberale Politik fest.

Die Kläger beziehen sich häufig auf Punkte, die gar nicht Folge des neuen Vertrags sind. So gilt der Vorrang des EU-Rechts schon seit Jahrzehnten. Und das kritisierte Demokratiedefizit wird durch den Lissabon-Vertrag eher gemildert, denn das EU-Parlament bekommt mehr Mitsprache als bisher, vor allem in der inneren Sicherheit. Andere Behauptungen der Kläger sind falsch. So wird der Parlamentsvorbehalt für Bundeswehreinsätze gar nicht eingeschränkt.

Insofern ist es eine gewisse Überraschung, dass sich das überlastete Bundesverfassungsgericht so gründlich mit den Klagen beschäftigen will. Daraus ist aber wohl nicht zu schließen, dass Karlsruhe den Lissabon-Vertrag scheitern lassen wird. Der Zweite Senat nimmt die Klagen wohl eher zum Anlass, um Vorgaben für die weitere europäische Integration zu machen. So dürfte es bei der Verhandlung im Februar zum Beispiel um die Frage gehen, wann Deutschland tatsächlich seine eigene Staatlichkeit verliert. CHRISTIAN RATH