Polizei schießt jetzt mit Action 4

Auch Berliner Polizisten erhalten nun so genannte Deformationsgeschosse. Sie sollen Querschläger verhindern. Kritiker fürchten schwere Schäden bei Getroffenen

Mit Beginn dieser Woche wird die Munition in den Polizeipistolen ausgewechselt. Insgesamt 400.000 Schuss der neuen „Action 4“-Patronen haben die Ordnungshüter und zentral auf dem Gelände der Polizeidirektion 5 (Kreuzberg, Neukölln) in der Friesenstraße eingelagert.

Von dort wird die von der Firma Dynamit Nobel entwickelte Munition jetzt auf die übrigen Direktionen verteilt. Schrittweise erhalten in den kommenden vier bis sechs Wochen dann alle rund 21.000 Berliner Polizisten zwei Magazine mit je acht Schuss der neuen Munition mit „Mann-Stopp-Wirkung“, die bisher nur von Spezialeinsatzkommandos verwendet wurde. Dass der Munitionswechsel rund eine Woche nach der blutigen Schießerei in Kreuzberg stattfindet, ist nur ein Zufall, bestellt waren die neuen Geschosse bereits vorher.

Vor fünf Jahren hatte in München eine Polizistin aus kurzer Distanz auf einen Mann geschossen, der sie mit einem Messer angegriffen hatte. Die Kugel durchschlug den Körper des Angreifers und tötete auch einen hinter ihm stehenden Mann. Seither suchten die Innenminister der Länder nach neuer Munition.

Bislang verwendete die Berliner Polizei Geschosse, deren Ummantelung verhindert, dass sich die Patrone bei einem Körpertreffer verformt oder zerlegt. Die „Action-Munition“ hingegen verformt sich unmittelbar beim Aufprall und gibt dabei den größten Teil ihrer Energie ab. Die Gefahr von Querschlägern wird so weitgehend gemindert. Allerdings richtet das Geschoss im menschlichen Körper größere Verletzungen an als die herkömmliche Vollmantelmunition. Kritiker warnen deshalb vor der Gefahr, dass zentrale Blutgefäße zerreißen und irreversible Schäden im Gewebe und an den Knochen entstehen können.

Ein tödlicher Schuss, der allein auf die Deformationsgeschosse zurückzuführen ist, ist bisher nicht bekannt. Allerdings untersucht das thüringische Innenministerium derzeit noch einen Fall aus dem Sommer 2002, bei dem ein Polizeibeamter einen mutmaßlichen Automatenknacker erschossen hatte. Seit April muss sich der Beamte auch vor Gericht verantworten.

Berlin ist eines der letzten Bundesländer, das seine Polizei mit den so genannten Deformationsgeschossen ausstattet. Begonnen hatten damit im Herbst 2000 Bayern und Baden-Württemberg. Mit rund 30 Cent sind die Patronen ungefähr doppelt so teuer wie die herkömmliche Munition – Mehrkosten: etwa 63.000 Euro. Daher werden die alten Patronen beim Trainingsschießen aufgebraucht, das alle Polizisten regelmäßig absolvieren müssen.

OTTO DIEDERICHS